Ein besonderes Fußballtor fanden die Burschen, die der französische Künstler Kader Attia in dem Video "History of Reappropriation, Architecture as a stake" (2012) zeigt.


Foto: Courtesy Galerie Krinzinger, Vienna and the artist

Betritt man die Galerie, trifft man als Erstes auf zwei Fotografien: Die eine zeigt die bereits überwucherten Reste einer aufgelassenen Fabrik in Deutschland; die andere einen traditionellen Ziehbrunnen, den man mit einer elektrischen Pumpe modernisiert hat.

The end and the beginning titelt das Diptychon, mit dem Kader Attia gleich zu Beginn seine doppelte Weltsicht darlegt: Aufgewachsen in Paris und Algerien, hat der 1970 geborene Künstler schließlich sehr unterschiedliche Erfahrungen mit der Modernisierung gemacht. Während er in Europa den Niedergang diverser Industrien erlebte, hat man in Algerien Pumpen aus China für eine technisierte Wasseraufbereitung benutzt.

Auch wenn die Bilder damit inhaltlich auseinanderstreben, geht es Kader Attia insgesamt jedoch viel weniger um die Unterschiede als um die komplexen Beziehungen zwischen der westlichen und der nichtwestlichen Welt: Following the Modern Genealogy heißt eine Serie von Collagen, auf denen er Gebäude von Oscar Niemeyer oder Le Corbusier mit algerischer Architektur in Beziehung setzt. Zu sehen ist ein Bild der alten Oasenstadt Ghardaia, die Le Corbusier stark beeinflusst hat - und daneben ein kaputter Einkaufswagen sowie potenzielle Bewohner der Wohnanlagen, die man heute vor allem mit Ghettoisierung verknüpft.

Dass die Kolonialisierung tiefe Wunden gerissen hat, wird im selben Raum auch noch direkter zum Ausdruck gebracht: mit der Präsentation großformatiger, roher Leinwände, auf denen feine Fadenzeichnungen wie Narben aussehen, sowie von Patronenhülsen aus Syrien. Während Erstere gerade aufgrund ihrer Einfachheit sehr berühren, hat Kader Attia mit den Patronen den Krieg in Syrien doch sehr plakativ zurück aufs Tapet geholt.

Prozesse des Reparierens

Auf sehr eindrückliche Weise hat sich der Künstler dagegen auch dieses Mal wieder mit Prozessen des Reparierens befasst: We Have Never Been Modern titelt eine Fotografie, auf der Attias Großmutter aus fein zerbrochenen Tonscherben einen neuen Teller herstellt. Dass Kader Attia dieses Wiederverwerten als eine bedeutende Kulturtechnik begreift, lassen zudem die Motorradgehäuse erahnen, die mittels Karton und Kunstharz repariert wurden. Mit dem Titel der Fotografie zitiert er den Philosophen Bruno Latour, der in seinem Werk Grundpfeiler der Moderne wie Vernunft und Säkularisierung infrage stellte.

Attia schließt sich dem an und spürt in seiner Arbeit nicht dem einen großen Umbruch, sondern den fließenden Übergängen zwischen der Tradition und der Moderne nach.

In der aktuellen Präsentation lässt er zudem das Thema Islamischer Staat nicht einfach aus: So wird etwa mit einem groß aufgeblasenen Zeitungsartikel auf jenen 14-jährigen Österreicher verwiesen, dem man die Planung eines Terroranschlags nachgewiesen hat, für die er seine Playstation verwendet haben soll.

Mit parallelen Realitäten hat sich der Künstler auch in dem Video History of Reappropriation, Architecture as a stake (2012) befasst: Zu sehen sind Jugendliche, die am Computer auf virtuelle Soldaten schießen, aber auch eine Gruppe von Burschen, die sich in Ermangelung eines Fußballtores einen römischen Torbogen angeeignet hat. (Christa Benzer, 8.5.2015)