Als zu Jahresbeginn der Kampf um die Gunst der Wähler begann, sah David Cameron vergleichsweise alt aus. Mit gerade mal 48 Jahren - nach neun Jahren als Parteichef und fünf Jahren in der Downing Street - war der Konservative bereits der am längsten amtierende Chef einer der großen Parteien Großbritanniens. Die Umfragezahlen wollten und wollten nicht abheben, allen Verweisen auf die florierende Wirtschaft, allen schönen Versprechungen von mehr Wohnungen, besserer Gesundheitsversorgung, niedrigeren Steuern zum Trotz. Hartnäckig sagten die Demoskopen ein Patt mit der Labour-Opposition voraus. Camerons Tage als Premierminister schienen gezählt.

Im Wahlkampf kamen dann selbstverursachte Fehler hinzu. Der telegene frühere PR-Fachmann verweigerte sich dem direkten Fernsehduell mit seinem Labour-Herausforderer Edward Miliband. Später teilte er dem erstaunten Publikum mit, er wolle keine dritte Amtszeit anpeilen - ganz so, als habe er die Wiederwahl für die zweite schon in der Tasche. Seine öffentlichen Auftritte wirkten lustlos.

Erst spät entdeckte das Produkt der typischen britischen Elite-Institutionen Eton und Oxford seinen Kampfgeist und hämmerte den Briten drei Argumente für seine Wiederwahl ein: die gute Wirtschaftslage; die drohende Einflussnahme schottischer Nationalisten auf die Regierung des Landes; schließlich der direkte Vergleich mit dem ungeliebten Oppositionsführer.

Der Instinkt des patrizierhaft auftretenden Konservativen und seines australischen Wahlkampfleiters Lynton Crosby stellte sich als korrekt heraus. Über Nacht straften die Briten alle Demoskopen Lügen: Statt des vorhergesagten Patts haben die Tories eine winzige Mehrheit der Mandate im Unterhaus. Und ehe sich der Premier am Freitagnachmittag den Segen der Queen für seine zweite Amtszeit holen konnte, waren drei seiner Widersacher bereits zurückgetreten: Neben Miliband auch Nationalpopulist Nigel Farage von der Ukip und der bisherige liberale Koalitionspartner und Vizepremier Nick Clegg. Plötzlich wirkt David Cameron ganz frisch und unverbraucht, trotz der einen oder anderen Falte im rosigen Engelsgesicht.

Die rebellischen Hinterbänkler vom rechten Flügel bändigte er am Freitag mit dem klaren Signal, er wolle als "One Nation"-Konservativer regieren - also ebenso soziale Härten abmildern wie wirtschaftlich Starke fördern.

Den triumphalen Nationalisten in Schottland versprach er rasche weitgehende Autonomie. Er wolle das Land zusammenhalten und die kleineren Teile des Landes "mit Respekt" behandeln. Wenn das stimmt, hätte er aus seinem schweren strategischen Fehler nach dem Unabhängigkeitsreferendum gelernt: Da schien es, als wolle er lieber englischen Nationalismus schüren, als auf schottische Empfindlichkeiten Rücksicht zu nehmen.

Im Zeitalter mürrischer und wankelmütiger Wahlvölker eine Wiederwahl geschafft zu haben- noch dazu in dieser kaum erwartbaren Deutlichkeit-, das stärkt Cameron auch außen- und europapolitisch den Rücken. Die versprochene Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft bis Ende 2017 ist neben dem Zusammenhalt Großbritanniens das zweite große Projekt seiner zweiten Amtszeit. Der Premierminister braucht vorzeigbare Reformergebnisse, wenn die Briten seiner Empfehlung zum Verbleib im Brüsseler Club folgen sollen. Die Meinungsumfragen sehen derzeit günstig aus. (Sebastian Borger, DER STANDARD, 9.5.2015)