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Orson Welles setzte 1941 mit "Citizen Kane" einen Maßstab für ein alle Genres sprengendes Kino, das auch als Triumph des arbeitsteiligen Hollywood gesehen werden kann.


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Wien - Der Tod von Harry Lime in dem Nachkriegsklassiker Der dritte Mann wirkte sich für die Figur ausgesprochen belebend aus. Die BBC begann bald darauf mit der Ausstrahlung einer Hörspielserie The Lives of Harry Lime - für Orson Welles gab es dabei schnelles Geld zu verdienen. Geld, das er teilweise in sein Herzensprojekt der Fünfzigerjahre steckte, einen Thriller mit dem Titel Confidential Report, der sich strukturell an Citizen Kane anlehnen sollte:

Ein Mann von beträchtlichem Format heuert den Verehrer seiner Tochter dafür an, seine Lebensgeschichte zu rekonstruieren. Denn dieser Mr. Arkadin hat (vorgeblich) sein Gedächtnis verloren, das Zusammensetzen der Biografie wird zu einem Indizienprozess mit Spurensuche einmal um den ganzen Erdball. Wie so viele Projekte von Welles endete auch dieses im Vorläufigen. Der Produzent stellte eine Fassung her, die einen möglichst normalen Film ergeben sollte.

Das ging nur um den Preis einer Geschichte mit vielen losen Enden, sodass es heute nicht ganz leicht zu entscheiden ist, ob man Confidential Report bzw. Mr. Arkadin als trashig oder als hochmodern sehen soll. Es ist jedenfalls eine wichtige Station auf dem Weg von Welles zu jener One-Man-Band, als die er in seinen späten Jahren beschrieben wird.

Das Kino hat gemeinhin keinen Platz für Großkünstler wie Welles. Deswegen stellt die aktuelle Retrospektive des Österreichischen Filmmuseums auch eine hochinteressante Gelegenheit dar, Autorenpolitiken und Industrielogiken über eine markante Übergangsperiode der Filmgeschichte hinweg zu beobachten: On Dangerous Ground: Losey/Ray/Welles versammelt drei Auteurs, die zusammen zu zeigen es eine Menge guter Gründe gibt.

Außerhalb der Kulissenwelt

Das biografische Faktum, dass alle drei - Joseph Losey, Nicholas Ray und Orson Welles - zu Beginn des 20. Jahrhunderts im amerikanischen Bundesstaat Wisconsin geboren wurden, ist eine willkommene Koinzidenz, von der aus man diese drei Karrieren wie verschlungene Fäden verfolgen kann. Der frühreife Welles setzte 1941 mit Citizen Kane einen Maßstab für ein alle Genres sprengendes, reflexives Erzählkino, das auch als Triumph des arbeitsteiligen Hollywood gesehen werden kann. Losey und Ray hingegen arbeiteten sich im kleineren Format durch die allmählich zerfallenden Studio-Produktionslinien. Losey zum Beispiel mit The Lawless (1950), einer Geschichte über weißen Rassismus in einer Welt, die sich schon damals vor Hispanisierung fürchtete - gedreht außerhalb der Kulissenwelten, vor Ort in einem alltäglichen Amerika.

Nicholas Ray debütierte 1948 mit They Live By Night, einer der ergreifendsten Romanzen überhaupt, mit Cathy O'Donnell und Farley Granger auf verlorenem Posten in einem Amerika, in dem Kriminelle und Rechtschaffene kaum mehr zu unterscheiden sind. Rays Western Lusty Men und Johnny Guitar, sein grandioses Mob-Drama Party Girl, aber auch eine naive Ethnofantasie wie The Savage Innocents (an die man heuer bei dem vollkommen aus der Zeit gefallenen Berlinale-Eröffnungfilm von Isabel Coixet hätte denken können) zeugen von einer Suche nach Zufluchtsorten für ein "richtiges" Leben im grundlegend falschen.

Alle drei Filmemacher hatten Schwierigkeiten in einer Öffentlichkeit, die argwöhnisch nach "unamerikanischen Umtrieben" suchte, wo es doch vor allem darum ging, den Gemeinsinn der 1930er-Jahre über die Wohlstandsrevolution der 1950er drüberzuretten. Losey, Welles, Ray endeten alle auf ihre Weise im Exil, wobei Losey zweifellos die Karriere mit der größten Kontinuität beschieden war: mit späten Werken wie The Go-Between (einer Zusammenarbeit mit Harold Pinter) oder dem im Zeitalter der Drohnenkriege ungeheuer bedrängend wirkenden Figures in a Landscape.

Das fragmentarische Alterswerk von Welles ist nach wie vor unveröffentlicht, sodass die wegweisend mit den Formen spielende Kunstfälscherdokumentation F for Fake bis auf weiteres als sein Vermächtnis gelten muss. Die Spur führt in allen Fällen zurück - in ein goldenes Zeitalter des Filmemachens, das die drei Künstler Joseph Losey, Nicholas Ray und Orson Welles nicht mehr zu integrieren vermochte und das durch kein Rosebud zu beschwören ist.

Orson Welles setzte 1941 mit "Citizen Kane" einen Maßstab für ein alle Genres sprengendes Kino, das auch als Triumph des arbeitsteiligen Hollywood gesehen werden kann. (Bert Rebhandl, 10.5.2015)