In wenigen Tagen wird klar sein, wer die Medizinische Universität Wien in den kommenden, entscheidenden Jahren führen wird. Das Rektorenteam - geführt vom neuen Rektor - wird vor beträchtlichen Herausforderungen stehen: Österreich verliert als Arbeitsplatz für junge Mediziner merklich an Attraktivität. So alarmierten zuletzt Meldungen über abwandernde Jungärzte die Öffentlichkeit ("Ärztemangel: Es ist bereits Feuer am Dach", der STANDARD, 7. August 2014). Im selben Jahr erhob das Wissenschaftsministerium, dass mittlerweile fast 80 Prozent unserer deutschen Medizinabsolventen im Ausland arbeiten. Eine jüngst durchgeführte Umfrage der Hochschülerschaft bestätigt die düsteren Aussichten: Demnach geben mehr als 50 Prozent der an Österreichs Medizinuniversitäten Studierenden an, nach Studienabschluss ins Ausland gehen zu wollen.

Als Hauptgründe werden das zu erwartende (geringe) Gehalt, mangelhafte (weitere) Ausbildung, Arbeitszeiten sowie die Work-Life-Balance genannt. All das macht unmissverständlich klar: Österreich steht zunehmend im internationalen Wettbewerb. Gefordert sind daher neben der Österreichischen Ärztekammer (Anpassung und Kontrolle der Ausbildung) vor allem die Spitalsträger und in weiterer Folge die einzelnen Spitäler. Denn auch im Inland ist der Wettbewerb voll im Gang. So prescht die Stadt Wien vor und bietet Medizinstudenten im klinisch-praktischen Jahr ein monatliches Honorar von 650 Euro - wohl in der Hoffnung, sie hierzuhalten. Bereits seit geraumer Zeit locken die Bundesländer Jungmediziner mit Inseraten und Geld.

Auch das AKH Wien, das etwa ein Drittel der Wiener Bevölkerung medizinisch versorgt, ist gefordert. Als Universitätsspital hat es viel zu bieten, stellt aber auch hohe Anforderungen an die Mitarbeiter. Am AKH kann in der Regel nur bleiben, wer eine anspruchsvolle Palette an Leistungen erbracht hat. Darunter fallen Publikationen, Lehre, absolvierte Kurse, ein Auslandsaufenthalt sowie natürlich klinische Fertigkeiten. Das - sowie ungewisse berufliche Perspektiven - mag mit ein Grund dafür sein, dass die Anzahl der Bewerbungen um ausgeschriebene Stellen im Vergleich zu früher teils dramatisch zurückgegangen ist.

Das seit Beginn des Jahres in Kraft getretene Arbeitszeitgesetz (KA-AZG) mit seiner Begrenzung der erlaubten Arbeitszeit für Ärzte auf 48 Stunden pro Woche hat natürlich auch hier Auswirkungen. Es ist einleuchtend, dass bei reduzierten Arbeitszeiten und gleichbleibendem Personalstand nicht Leistungen wie bisher erbracht werden können. Das bedeutet entweder Aufstockung des ärztlichen Personals, Reduktion der Leistungen und/oder Übertragung von administrativen und pflegerischen Aufgaben an nicht-ärztliches Personal (wodurch sich wiederum dieser Personalstand erhöht).

Allerdings ist die Situation im AKH komplizierter als an anderen Wiener Spitälern, weil hier die Ärzte von der Universität (somit vom Bund), Pflegekräfte und sonstiges Personal aber im Wesentlichen von der Stadt Wien bezahlt werden. Wie mehrfach kritisiert, ist die resultierende Doppelgleisigkeit in der Führung diffizil und ineffizient, nicht zuletzt aufgrund divergierender Interessen zwischen Bund und Stadt. Im Jahr 2012 wurde daher neuerlich eine Initiative (genannt "Universitätsmedizin 2020") gestartet, wonach bereits für das Jahr 2015 eine gemeinsame Betriebsführung "neu" geplant ist. Über den Stand dieser Verhandlungen dringt bisher aber nichts an die Öffentlichkeit.

Aufgrund der Mehrfachbelastung durch Patientenbetreuung, Forschung und Lehre erhebt sich die Frage, wie attraktiv das AKH für angehende Ärzte tatsächlich ist. Kann es aufgrund der Gehälter und Arbeitsbedingungen mit den Spitälern im In- und Ausland konkurrieren? Wird dies in den Verhandlungen über eine Abgeltung des Einkommensverlustes, bedingt durch das KA-AZG, berücksichtigt? Wird die Med-Uni Wien ihren Studenten im klinisch-praktischen Jahr ein Honorar bezahlen? Wird ausreichend auf eine umfassende Ausbildung geachtet? Dies gilt insbesondere für Ärzte, die nach abgeschlossener Ausbildung das AKH verlassen. Wie steht es mit dem respektvollen Umgang untereinander, der Mitarbeiterzufriedenheit? Wird am Arbeitsplatz Vertrauen geschaffen; wird Individualität, verbunden mit Teamarbeit, werden Kreativität, Flexibilität, Verantwortung, Freiraum gefördert? Werden Entwicklungsmöglichkeiten - nicht notwendig vertikal - geboten?

Eine Leitung, die die Universität nachhaltig im Spitzenfeld halten und platzieren möchte, wird um diese Kernelemente eines zeitgemäßen HR-Managements nicht herumkommen. Die verbreitete Meinung, an der Med-Uni arbeiten zu dürfen wäre per se schon ein Privileg und bedürfe keiner weiteren Bemühungen, könnte sich als fatal erweisen - um die besten Köpfe ist mittlerweile ein nationaler und internationaler Wettbewerb entbrannt. Der neue Rektor wird gefordert sein, die Weichen zu stellen, dass sich die Med-Uni Wien in diesem kompetitiven Umfeld behaupten kann. (Sigismund Huck, 11.5.2015)