"Weihrauch statt kritischer Analyse" habe der ORF im Radiokolleg: Gewalt und Religion serviert. Die anschauliche Formel verdichtet den von Martin Praska an diesem Ort veröffentlichten Kommentar ("Religion ist friedlich, der Kimono griechisch", STANDARD vom 6. Mai). Hätte sich Praska von der Etymologie des Wortes Kritik inspirieren lassen, so müsste er damit ernst machen, dass Kritik vom "krinein" kommt. Sie zeichnet sich durch die Gabe der Unterscheidung aus.

Mit einer solchen scheint er nicht gesegnet zu sein. Deswegen verkommt sein Text zum recht geistlosen "Abwatschen". Auf dem Niveau und auch im Stil einer Bierstammtischrunde religionskritischer Zeitgenossen werden der Reihe nach: der ORF als eine kryptoreligiöse Funkanstalt entlarvt, der verantwortliche Gestalter der Sendung, Johannes Kaup, als "katholischer Theologe" geoutet, die Sendereihe als "Schwafelei" der Theologen diffamiert.

Wer auf diese Weise einen "kritischen" Diskurs beginnt, will auf seinen gesellschaftlichen Ort, sein Interesse und auch sein Leiden aufmerksam machen. Als Vertreter von Menschen "ohne Bekenntnis" beklagt Praska, dass dem "säkularen Element in unserer Gesellschaft" und den "religionskritischen" Sendungen im Radio kaum Raum gegeben werde. Deswegen verfestige die mediale "Volksbildung" die Vorurteile eines "katholischen Landes". Und wer will heute schon in einem Land leben, dessen Lebenskultur Praska auf die prägnante Formel bringt: "Hände falten, Gosch'n halten"? Schon diese Qualifizierung wird für den Applaus in der Stammtischrunde sorgen.

Damit es nicht so weit kommt, hält uns der Autor seine "Aufklärungsfackel" entgegen? Wie sieht sie aus? Im Grunde lässt sie sich auf eine These reduzieren: Religion generiere Gewalt! So etwas sei doch "offensichtlich". Wem das als Argument nicht genügt, dem werden ein paar Zitate aus der Bibel zur Aufklärung schon weiterhelfen. Oder aber die Hinweise auf den "Absolutheitsanspruch abrahamitischer Religionen", auf die Rolle katholischer Priester im Kontext des Völkermordes in Ruanda, auf den Katholiken Adolf Hitler und den messianischen Führerkult von Stalin.

Und der christliche Antisemitismus darf auch nicht vergessen werden. Wie in "einer tibetanischen Gebetsmühle" werden im Text die Beweise heruntergeleiert. Soll sich der Kritiker einer ähnlichen Methode bedienen? Indem er beispielsweise auf den blutigen Weg zur säkularen Türkei und den Armeniengenozid verweist? Nein! Er fragt lieber: Was bringt eine solche Strategie?

"Mittels Selektion und Interpretation" kann alles "aus den religiösen Urtexten" begründet werden, beklagt Praska. Er sieht sein Argument als Trumpf der Religionskritik. Was für Religionen gut ist, wird auch dem Säkularismus billig sein. Im Zeitalter der Datenbanken wird aber eine nach diesem Muster konzipierte Polemik nicht nur endlos werden. Sie ist längst steril geworden. Weil sie keine neuen Erkenntnisse generiert, bestätigt sie nur noch die bestehenden Vorurteile. Damit wird sie gefährlich. Intellektueller Schlagstockaustausch dieser Art gleicht doch der Praxis des Zündelns in der politischen Arena.

Diffamierung

Die von Praska diffamierte Sendereihe des Religionskollegs tat dies keineswegs; darin wurde weder "Steinbruchexegese", noch religiöse Apologie betrieben. Das Radiokolleg bot nicht bloß Gelegenheit zum Stelldichein von Theologen. Religions-, Kultur- und Politikwissenschafter kamen genauso zu Wort wie die Historiker. Ausgehend von der Grundannahme, dass Religion das Potenzial hat, die tiefsten Energien im Menschen freizusetzen, und dies sowohl im Guten als auch im Bösen, wurde dort "Kritik" im Sinn von "krinein" betrieben.

Die in der akademischen Diskussion der Gegenwart relevanten Theorieentwürfe kamen direkt oder indirekt zur Sprache (samt der vieldiskutierten, inzwischen modifizierten These von Jan Assmann über den Absolutheitsanspruch abrahamitischer Religionen). Praska scheint wirklich keine Ahnung davon zu haben, um welche Probleme die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Frage der Religion inzwischen kreist. So als ob in den letzten 50 Jahren sich in unserer Welt nichts verändert hätte, polarisiert er bloß weiterhin zwischen religiöser und säkularer Gesellschaft. Er will weiterhin unerschütterlich daran glauben, dass die eine gut, die andere böse ist. Damit seine Vision gut bleiben kann, muss die andere böse sein.

Pubertierender Sohn

Mit derartiger Logik entpuppt er sich paradoxerweise als "pubertierender Sohn" jener Kirchlichkeit, die von der Kirche selber aufgegeben worden ist. Mit dem Bekenntnis zur Religionsfreiheit hat die katholische Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil die Schwarz-Weiß-Logik aufgegeben und ihre Haltung der Intoleranz als Irrweg bezeichnet. Die Weigerung, solche religionspolitischen Veränderungen zur Kenntnis zu nehmen, ist gefährlich. Sie ebnet dem gewaltversessenen Fundamentalismus den Weg. Den Intellektuellen unter den "Österreicherinnen und Österreichern ohne Bekenntnis" würde ein "Update" ihres Wissens in Sachen Religion guttun. Ein guter Anfang: ein wirklich aufmerksames Abhören des genannten Radiokollegs. (Józef Niewiadomski, 12.5.2015)