"grüß sie. jetzt haben wir uns lange nicht gesehen. haben sie nicht vor drei jahren geburtstag gehabt? ja, sicher. den habe ich jedes jahr. jedes jahr? ja. wann? immer am gleichen tag" schreibt Friedrich Achleitner, der am 23. Mai seinen 85er feiert, in "wortgesindel".

Foto: Heribert Corn
Foto: Heribert Corn

Friedrich Achleitner, "wortgesindel". € 17,40/ 112 Seiten. Zsolnay, Wien 2015

cover: zsolnay

Die enorme Spannung der Oberfläche vermittle die Form, schreibt Friedrich Achleitner in seinem espritvollen "Bericht" Die Plotteggs kommen. Das schmale Buch lässt sich als sein neuerlicher Schritt zur Sprachkunst lesen, nachdem er sich Anfang der Siebzigerjahre auf die Baukunst konzentriert hatte, um sich dem monumentalen, schließlich fünfbändigen Werk Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert zu widmen.

Als Mitglied der legendären "Wiener Gruppe" habe er die Mythen der traditionellen Poesie zertrümmert, vermerken Klappentexte nach wie vor, obwohl er selbst gelegentlich nüchtern erklärt, dass sich über die informelle Gruppierung der späten Fünfzigerjahre einige Mythen verfestigt hätten.

Mit dem quadratroman hatte sich Achleitner, wie er sagt, zwischenzeitlich von der Literatur sowie von einer Art Avantgarde verabschiedet. Am Ende des Romans in Kästchen steht wegen der minimalen Ungenauigkeit, dass die Quadrate tatsächlich Rechtecke sind, die Anweisung zur Auslöschung: "lieber leser vergessen sie alles was sie hier gelesen und gesehen haben".

Der Band wurde 1995 neu aufgelegt, im selben Jahr erschienen die Plotteggs. Da geht der erzählende Berichterstatter von der Form "dieser Dinger" aus, "die sich in der Landschaft so sperrig und unkommunikativ benahmen". Um über die zylindrischen Heuballen unter festgespannter Plastikfolie schreiben zu können, muss er ihnen einen Namen verleihen. Die Form bringt das Wort.

Ein paar Jahre später kam Friedrich Achleitner neuerlich auf die Sprachkunst zurück. Mit dem fälschlich beruhigenden Titel einschlafgeschichten versah er 2003 die Prosaminiaturen, die alles andere als gewöhnliche Geschichten sind, sondern auf originelle und präzise Weise dem Eigenleben der Sprache sowie des Geschichtenmachens nachgehen.

Präzision ist Suche

Nun ist der fünfte Prosaband in Folge - unterbrochen 2011 von den Dialektgedichten iwahaubbd mit der großartigen Innviertler Litanei - erschienen. Vorangestellt ist ihm der Grundsatz von Fritz Mauthner, an dem Achleitner seit seinen frühen Arbeiten festhält: "Sprache ist ein Werkzeug, mit dem sich die Wirklichkeit nicht fassen lässt." Wie für die Plotteggs erzeugt Sprachskepsis Sprachwirklichkeit.

Auch ein kurzer formaler Vergleich der beiden Bücher lohnt sich. Auf der Innenseite des Plottegg-Einbands steht das Faksimile des Manuskripts, datiert und versuchsweise mit Fragezeichen als "narrativer Essay" bezeichnet.

Die drei Zeilen davor sind mit Wellenstrichen unkenntlich gemacht, als werde der Abschied von der seinerzeitigen Avantgarde so festgehalten. Auf dem Cover des neuen Buches sind unter dem rot umrahmten "wortgesindel" andere Titelvarianten durchgestrichen. Sie stehen da und gelten doch nicht.

Präzision ist Suche, Sprache ist Wortsuche und Wortauswahl. Erzählung wählt aus, was in welcher Form zur Wahrnehmung gebracht wird. Den Geschichten als Plot(tegg) aber misstraut Achleitner grundsätzlich, einige der Texte in wortgesindel enden mit einer knappen Reflexion des soeben Gebotenen. Und der letzte Satz des Buches kontert paradox den Titel: "zu wortgesindel fällt mir nichts ein."

Die "enorme Spannung der Form" bleibt keineswegs an der Oberfläche. Die Prosastücke reichen zwar kaum über mehr als eine Seite, jedoch weit darüber hinaus. Momentaufnahmen von Kleinigkeiten, absurde Begegnungen, skurrile Überlegungen eröffnen Hintersinn oder Widersinn.

Indem der Sprachskeptiker Redewendungen wörtlich nimmt, blattelt er sie auf. Wo ist denn des Teufels Küche? Kann nicht eine Fleißaufgabe Aufgabe des Fleißes bedeuten? Wo bleiben Butter, Wurst und Käse bei der Brotzeit? Die "deutschen brüder und schwestern, großmeister der deutschen sprache" weist Achleitner zudem auf ihre falsche Verwendung von "laufen" für "gehen" hin: "sie laufen auch zum bäcker, in die bank, nur in die kneipe gehen sie lieber".

Wirklichkeitsschwindel

Eine Grundkonstellation sind die Gespräche nach dem Erzählmuster "Treffen sich ...", das ins Surreale gedreht wird: "ein ohrwurm und ein bandwurm trafen einander zufällig in einem bücherwurm. diese geschichte geht schlecht aus, sagte darauf etwas arrogant der bücherwurm. so fängt man keine geschichte an." Oder der Dialog einer Fliege und einer Mücke auf dem TV-Schirm mit der von einem Wirklichkeitsschwindel bedingten Feststellung: "die menschen sind schon lange nicht mehr das, was sie früher einmal waren."

Auf schwankendem Sprach- und Realitätsboden vermittelt dieses wortgesindel auch Blitzaufnahmen von Verhaltensweisen wie die immer gleichen Fragen nach Lesungen, einerseits in Deutschland ("wie ist das eigentlich mit den einfällen? kommen die von selbst?"), andererseits in Österreich ("ich schreib auch ein bisserl, darf ich ihnen einmal was schicken?"). Oder die Charakterisierung der falschen Formfassade der Idylle auf dem Land: "die dorfbewohner fürchten sich vor der hölle und ahnen nicht, dass sie in ihr leben."

Derart führt Friedrich Achleitners Prosa höchst vergnüglich und pointiert vor, wie sich Wirklichkeit aus Sprache entwickeln kann. Mit Anregungen von Mauthner, Wittgenstein und Karl Valentin schafft sie ihren eigenen Reiz, sodass das scheinbar Selbstverständliche nicht mehr von selbst verständlich scheint. Da bezeichnet ein Passant einen anderen als "glückspilz", weil er jedes Jahr am gleichen Tag Geburtstag habe.

In dem Text innenkomfort ist von einem "runden geburtstag" die Rede. Zu einem solchen - bei dem, genau betrachtet, "rund" im landläufigen Sinn nur für die erste Zahl und Ziffer ganz zutrifft - gratulieren wir Friedrich Achleitner auf das Herzlichste. (Klaus Zeyringer, Album, 16.5.2015)