Brandon Flowers hat auf seinem Schlagerrockalbum "The Desired Effect" keine Angst vor großen Gefühlen: "Dreams come true".

Foto: Invision / John Shearer

Wien - Die Welt hat ja schon länger darauf gewartet. Rechtzeitig zum in Wien laufenden Eurovision Song Contest bekennt sich nun ausgerechnet ein US-Amerikaner dazu, klassischen Schlager und Herrenhandtaschen-Disco aus dem Zeitalter Miami Vice, speziell also auch das Schaffen Dieter Bohlens mit seinem Duo Modern Talking während der 1980er-Jahre, als hammergeil zu erachten.

Brandon Flowers ist im Hauptberuf bei The Killers beschäftigt, den pathosintensiven Alternative-Mainstream-Helden des US-Rock. Man erinnere sich etwa an den zehn Jahre alten Hit Mr. Brightside oder zuletzt an das in seiner Annäherung an den Planeten Bon Jovi schaurig-schöne Album Battle Born von 2012. Positiver betrachtet, steht Flowers mit seiner Band also für eine völlig unironische Zusammenführung der breitbeinigen Rastlosigkeit im Stile eines metrosexuellen Bruce Springsteen mit dem Fassaden-Glitzer-Overkill des Showbiz in Las Vegas. Flowers hat auch die Haare sehr schön, aber kurz und ohne mehr Volumen gebenden Schaum darin. Dafür trieft das Schmalz nicht nur aus seinen Liedern, sondern auch vom Kopf.

Stellt man sich Conchita Wurst verkleidet als Motorradmechaniker in Jeans und blinkendem Holzfällerhemd und Born To Run singend vor, kommt man der Vision Brandon Flowers' ziemlich nahe. Der 33-jährige Keyboarder und Sänger kommt aus Las Vegas. In Las Vegas ist alles authentisch, was mit 1000-Watt-Lampen angestrahlt wird.

Lieder für das Kuchlradio

Schon 2010 ist Brandon Flowers mit dem nicht so stark in Erinnerung gebliebenen Soloalbum Flamingo Road fremdgegangen. Erste Tendenzen, mit Schlager ordentlich ins Erbschleichersendungsgenre vorzudringen, waren allerdings zu verzeichnen. Nun verbeugt er sich mit der aktuellen Single Can't Deny My Love zwar weniger onduliert und schultergepolstert als die Originale, aber doch offensichtlich vor Dieter Bohlen, dem Mann hinter radikal billigen Dorfdisco-Hits wie You Can Win If You Want, Brother Louie oder Cheri, Cheri Lady. Die guten alten Zeiten!

Die frühen bis mittleren 1980er-Jahre waren im heimischen Kuchlradio (Autofahrer unterwegs, lasst alle Hoffnung fahren!) die letzten Hochzeiten für in großer Harmonie nebeneinander existierende Welten der sehr gern aus dem englischsprachigen Raum kommenden Popmusik für junge Leute - und dem etwas blecherner und sexloser gedeuteten, gut verständlichen deutschen Schlager. Brandon Flowers' nun auf den Markt gekommenes Album The Desired Effect zielt exakt in diesen, sich möglicherweise auch um ein schwarzes Loch handelnden Zwischenraum. Wer dort hineinfällt, kommt drüben in Las Vegas als Howard Carpendale mit dem Lied Take On Me der norwegischen Band A-ha auf den Lippen heraus. Ist das alles ernst gemeint? That's Showbiz, Baby!

Tief im Hallraum peitscht dazu eine Marschtrommel. Synthesizer produzieren Schmelzkäse in Golf-Cabrio-Form. Das Saxofon trägt drei Goldketterln und ist barfuß in die Loafers geschlüpft. Klassischen Synthiepop gibt es auch. Der Song I Can Change basiert auf einem Sample des alten Hits Smalltown Boy von Bronski Beat. Brandons Jugendidol Neil Tennant von den Pet Shop Boys nuschelt Gast.

Es macht auch ganz viel "Eo-Eo-Eo-Ehs" im Chorbereich. Wieder einmal wird das Musical König der Löwen, also die Musik des bedeutenden afrikanischen Komponisten Elton John, zitiert. Diggin' Up The Heart basiert auf Rock 'n' Roll Is King von ELO. Dreams Come True ist eine Mogelpackung. Der Refrain ist unschlagbar plakativ: "Dreams come true, yes they do." Dahinter verbirgt sich allerdings von der Melodieführung wie dem Herumgewese in dem unter der amerikanischen Nacht begrabenen "Dreamland" und einer irgendwie nicht so toll funktionierenden Beziehung klassischer Bruce Springsteen. Dazugehöriges Fluchtverhalten in nicht für enge Kurven gebauten Fahrzeugen ist inkludiert.

Der bekennende Mormone Brandon Flowers singt mit seiner glockenhellen Stimme allerdings nicht nur Schlagereskes. Es geht zwischendurch auch um ungelöste Mordfälle, Stalking und am Ende um das Neue Testament: "Everybody's sitting around waiting for the Son to come again / And hoping that he's really got the power to save us from these sins."

Zu diesem Zeitpunkt ist Brandon Flowers schon etwas müde. Er gibt Simple Twist Of Fate von Bob Dylan als Eigenkomposition The Way It's Always Been aus. Dazu macht eine Showband in Paillettenanzügen auf Beatles. Der Mann hat Chuzpe. Das ist toll. Genauso gut kann man darüber natürlich entsetzt sein. Das ist Kunst. (Christian Schachinger, 21.5.2015)