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Man muss Marie Jahodas Studie zu den Arbeitslosen von Marienthal nicht studiert haben, um zu wissen, wie es sich anfühlt, wenn Menschen ihre Erwerbsarbeit verlieren - und dann verzweifelt (und lange erfolglos) versuchen, sich wieder einzufädeln.

Scheinbarer Verlust des Selbst, völlige Entwertung und große Unbrauchbarkeitsgefühle erreichen bei Topmanagern, die plötzlich aus ihren Chefsesseln gekickt werden, aber noch einmal andere Dimensionen, attestiert die deutsche Beratung Von Rundstedt in einem "Whitepaper". 21 solcher Männer, die aus der Herrlichkeit ihrer Machtposition gefallen sind, wurden dafür interviewt, daraus entstand die Skizze eines prototypischen Verlaufs solcher Phasen.

Am Anfang steht der Schock. Bis eben noch fand das Leben auf der Überholspur statt. Ein Alltag unter Hochspannung, mit Arbeitstagen von selten weniger als zwölf Stunden. Ein überaus wichtiger Termin jagt den anderen, jeweils mit Menschen der Macht auf Augenhöhe. Plötzlich Vollbremsung. Unbegreifliche Leere, Verwirrung, Ratlosigkeit.

Ego-Krise

Ego und Selbstwertgefühl sind plötzlich ohne jede Nahrung (sie wurde ja nur aus der Machtposition, aus dem Drehen an den richtig großen Rädern bezogen). Das Selbstkonzept, in dem die Huldigungen, die der Funktion geschuldet waren, mit Huldigungen an die Person verwechselt wurden, zerbricht total.

Die "Freunde" drehen sich weg, niemand ruft mehr auf den vielen Handys an, es gibt keine Einladungen mehr auf Du und Du. Und die Netzwerke erweisen sich nicht als Helfer in der Not. Oft ist auch noch die an den hohen Status zusammen gewöhnte Familie perplex. Und ebenfalls aus dem Konzept geworfen.

Umdenken, Lebensstil ändern, zur Ruhe kommen? Viel zu früh. Noch wird panisch die Illusion genährt, die ohnedies bestbefreundeten Executive-Searcher würden schon den nächsten Chefsessel im Angebot haben - Gage natürlich im besten Fall höher, mindestens aber gleich hoch.

Aber das passiert nicht. Vor allem nicht für Manager in mittleren Jahren, sogenannte Senior Executives, die ihre Karriere in einer Branche vor der großen Digitalisierung gemacht haben.

Wo seid ihr denn alle?

Da berichten alle Top-Headhunter Ähnliches: Applaus und Angebote von anderswo gibt es so nicht. Das war einmal, ist aber nicht mehr.

Schnelle Comebacks sind kaum mehr möglich, dazu laufen Veränderungen zu rasch, tragen alte Seilschaften nicht mehr in die neuen Anforderungen von Unternehmen. Vielleicht steht dem auch eine gewisse Professionalisierung entgegen, dass also die "eigenen Leute" nicht mehr so schnell untergebracht werden können, Compliance, Haftungen zu stark geworden sind.

Nun steht er also da, der Ex-Spitzenmanager, und erlebt: "Sobald der Fisch aus dem Wasser ist, fängt er an zu riechen. Und jetzt bist du schon acht Monate ohne Job. Da fragen sich die anderen: Warum hat den noch keiner weggefischt? Mit dem muss etwas nicht in Ordnung sein."

Miese Ausstrahlung

Und damit liegen sie vielleicht nicht falsch, weil der psychische Druck das Seinige tut und nicht gerade für eine positive Ausstrahlung mit viel Selbstsicherheit sorgt.

Einziger Weg: Selbsterkenntnis. Aufarbeitung aller Selbsttäuschung, die das Karriereleben gehalten haben. Der Marsch durch heftige Gewitter mit langem Regen. Alte Rucksäcke abwerfen, sich selbst neu erfinden, endlich spüren. Ex-Sberbank-Chef Friedhelm Boschert arbeitet genau in diesem Bereich mit Gefallenen und könnte mittlerweile auch darüber ein Buch schreiben.

Jedenfalls unterschreibt er den prototypischen Verlauf der Von Rundstedts und mahnt alle Aktiven, sich viel intensiver um Abgleich zwischen Selbst- und Fremdbild zu kümmern, auf Signale der Konzernumgebung zu lauschen, das Selbstkonzept niemals ausschließlich auf die machtvolle Karriere zu stützen.

Meist wird so etwas ja erst gehört, wenn es geblitzt hat. Ein gutes Beratergeschäft. (kbau, derstandard.at, 26.5.2015)