Topfavorit, was Måns Zelmerlöw auch weiß und die schwedische Delegation alle wissen lässt.

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Mauserte sich zum Liebling der Fans: Nadav Guedj aus Israel.

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Kann alles erreichen! Der darstellerisch unglaublich begabte Vertreter Belgiens.

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"The Makemakes" aus Österreich. Weil es die meist gestellte Frage war: Ja, das Klavier wird abgefackelt.

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Guy Sebastian mit einem ansteckend fröhlichen und groovigen Song für Australien.

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Australien sagt mein Gesamteindruck, Schweden meine nüchterne Analyse, Israel mein Herz, Estland mein Gehör, Norwegen mein Sinn für Harmonie, Russland meine Befürchtung, Italien meine Freunde und Serbien mein Geheimfavoriteninstinkt. Dann ist da noch Belgien, das völlig unberechenbar ist und alles schaffen könnte.

Es wird sehr, sehr spannend heute Abend. Da es so viele Favoriten sind, von denen sich keiner ganz eindeutig absetzen konnte, wäre ein Voting wie zuletzt 1998 schön, als man bei den letzten 12 Punkten noch nicht wusste, wer gewinnen wird.

Eröffnet wird die Show mit österreichischen Kulturinstitutionen und geflogen wird auch. Aber ganz will ich euch die Spannung jetzt auch nicht nehmen. Brücken werden freilich einige gebaut.

Aber nun zum Grand Final. 27 Songs, darunter die 20 aus den Halbfinale Qualifizierten sowie die automatisch fürs Finale gesetzten Big Five aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien, die Titelverteidiger aus Österreich und Gast Australien.

1. Slowenien: Maraaya - Here For You

Maraaya galten für mich vor den Proben als Siegeskandidaten. Das hat sich etwas geändert, da die Bühnenumsetzung trotz Kopfhörer und Luftvioline leider nicht so recht mitreißt. Trotzdem ist es ein sehr zeitgemäßer Beitrag, der es in Radiostationen und Charts schaffen könnte.

Tipp: Top 10

2. Frankreich: Lisa Angell - N’oubliez pas

Hach, so ein richtiger Chanson! Ein Song so wie damals. Lisa Angell macht es zunächst ganz schlicht und weiß genau dadurch zu überzeugen. Ihre Stimme ist großartig, die LED-Projektionen ebenso, vor allem wenn dann Trommler auftauchen. Auf der Startnummer zwei liegt übrigens der Eurovisionsfluch. Man konnte mit dieser Nummer noch nie gewinnen.

Tipp: Chansons landen immer weit hinten

3. Israel: Nadav Guedj - Golden Boy

Obwohl er aussieht, als ob er Ende 20 wäre, dieses gestandene Mannsbild ist erst 16 Jahre alt. "Golden Boy" ist in den Wiener Eurovisions-affinen Clubs seit zwei Wochen der Partyknüller schlechthin. Ansteckende Fröhlichkeit – man muss einfach shaken.

Tipp: Top 10

4. Estland: Elina Born & Stig Rästa - Goodbye to Yesterday

Sich von gestern zu verabschieden, das klingt schon sehr poetisch und so ist der Song auch. Er erinnert an die 60er und trotzdem ist er ein sehr zeitgemäßer Song. Was den "Common Linnets" gelang, kann auch den Esten gelingen. Vor allem geht der Refrain richtig ins Ohr und bleibt hängen. Gute Voraussetzungen für den Song Contest!

Tipp: Favorit

5. Vereinigtes Königreich: Electro Velvet - Still In Love With You

Alberner Song, dumme Umsetzung und der Versuch, gute Laune zu verbreiten, der aber peinlich scheitert. Die Elektro-Swing-Nummer funktioniert einfach nicht. Das Mutterland des Pop schafft es seit Jahren, keine wirklich guten Acts zum Song Contest zu schicken. "Years & Years" würde vermutlich haushoch gewinnen. Das jedoch nicht. BBC, ihr müsst euch da mal etwas überlegen!

Tipp: weit hinten

6. Armenien: Genealogy - Face the Shadow

Der Song, der an den Genozid an den Armeniern erinnern will, ist eher überraschend ins Finale gekommen. Zu wenig harmonisieren die sechs Sänger, die aus allen Kontinenten stammen und armenischen Background haben. Diese Diaspora wird auch für Punkte sorgen. Viele dieser Punkte werden es aber nicht werden.

Tipp: weiter hinten

7. Litauen: Monika Linkytė und Vaidas Baumila - This Time

Den bunten Gute-Laune-Song aus Litauen hatte man im Finale auch eher nicht erwartet. Aber das Duo macht "This Time" schon sehr süß – es wird alleine schon wegen dem Kuss, dem Augenzwinkern und dem Dauerlächeln nicht ganz weit hinten landen.

Tipp: hinteres Mittelfeld

8. Serbien: Bojana Stamenov - Beauty Never Lies

Das Motto "Building Bridges" hat zwar einen eigenen Song, der wahre Soundtrack dazu stammt aber aus Serbien. "Yes I’m different, and that’s okay" ist die Fortsetzung von Conchitas Botschaft im Vorjahr. Die Fans lieben den Song und Bojana hat sich in die Herzen gesungen. Sie ist keine Topfavoritin – zumindest hat sie niemand ganz oben auf der Liste – aber womöglich überrascht sie uns alle noch.

Tipp: Top 10

9. Norwegen: Mørland & Debrah Scarlett - A Monster Like Me

Die düstere Ballade ist schlicht sensationell in allen Belangen. Der Song bezaubert, die Stimmen harmonisieren perfekt, das Arrangement steigert sich und die Gänsehaut ist garantiert. Sie gelten allgemein nicht als die absoluten Topfavoriten, aber dem norwegischen Duo ist dieses Jahr alles zuzutrauen.

Tipp: Top 5, Kandidaten für den Sieg

10. Schweden: Måns Zelemerlöw - Heroes

Ja, er sieht gut aus und kann singen. Ja, der Song ist perfekt komponiert. Ja, die Performance ist die beste Umsetzung des Abends. Ja, in der Halle wird der Beitrag am meisten bejubelt. Und trotzdem ist der Song vielleicht zu typisch Schwedisch. So perfekt, so sehr mit der Attitüde "Wir gewinnen das ohnehin, denn nur wir Schweden verstehen Eurovision" (das ist seit Jahren so), dass ich mir nicht sicher bin, ob die Arroganz nicht doch für Telefonvoter spürbar ist.

Tipp: Top 5, Kandidat für den Sieg

11. Zypern: John Karayiannis - One Thing I Should Have Done

Der unwiderstehliche Charme eines Bürokollegen. So wirkt der Zyprier auf der Bühne, wenn er ganz bescheiden und klein sein Liedchen vorträgt, das gar nicht einmal so schlecht ist. Akustische Songs ohne Tamtam wussten immer wieder zu überraschen. Aus dieser Kategorie ist der zyprische Beitrag deutlich besser als etwa der ungarische.

Tipp: Mittelfeld

12. Australien: Guy Sebastian - Tonight Again

Mit dem Wort cool soll man ja eher sparsam umgehen, aber die Lockerheit, die Freude und die Kraft, mit der Guy Sebastian seinen Song auf der Bühne der Stadthalle vorträgt, ist schon sehr wow. Der Sondergast zur 60. Ausgabe wird wohl auch gewinnen wollen, denn es ist die einzige Möglichkeit, auch im Folgejahr noch einmal mitmachen zu dürfen. Tolles Stück Pop aus Down Under.

Tipp: Top 5, Kandidat für den Sieg

13. Belgien: Loïc Nottet - Rhythm Inside

Stimmen, die dem Song auf einem Beat eine Harmonie verleihen. Sehr toll, was der junge Belgier uns beim Song Contest bietet. "Rhythm Inside" ist definitiv ein Hitparaden-Song. Trotzdem kann ich einfach nicht einschätzen, ob der Song ganz weit vorne oder weiter hinten landen wird. Eben weil wir sowas noch nie beim Song Contest hatten, was auch die Stärke ist.

Tipp: kann überall landen, ich traue ihm auch den Sieg zu

14. Österreich: The Makemakes - I Am Yours

2014 eine Sängerin aus dem Salzkammergut, 2015 kommen gleich drei aus der Region. In der österreichischen Vorausscheidung gewannen sie haushoch. Der Song ist sehr gut, solide und kann schon was. Für "The Makemakes" wird sich das Gastland keinesfalls schämen müssen. Nicht vergessen: You are not allowed to vote for your own country!

Tipp: Oberes Mittelfeld, an Top 10 kratzend

15. Griechenland: Maria Elena Kyriakou - One Last Breath

Wie es dieser Song ins Finale geschafft hat, ist mir ein Rätsel. Langweilig, mehr fällt mir nicht ein. Da Griechenland immer Punkte erhält, egal was sie einsenden, wird es nicht am letzten Platz landen. Aber vorne auch nicht.

Tipp: weiter hinten

16. Montenegro: Knez - Adio

Željko Joksimović schaffte als Interpret und Komponist immerhin schon einen zweiten Platz 2004, einen dritten Platz 2006, einen sechsten Platz 2008 und einen dritten Platz 2012. Man darf den montenegrinischen Beitrag aus seiner Feder also keinesfalls unterschätzen, auch wenn durch den Ausfall Kroatiens und Bosniens wichtige Punktelieferanten fehlen.

Tipp: oberes Mittelfeld, an Top 10 kratzend

17. Deutschland: Ann Sophie - Black Smoke

"Das Lied führt nirgendwo hin", sagte mir ein deutscher Fan im Pressezentrum traurig. Besser könnte ich das auch nicht ausdrücken. Ich habe einfach Mitleid, dass sich die Zweitplatzierte der deutschen Vorausscheidung da jetzt irgendwie behaupten muss. Es gibt bessere Songs, bessere Stimmen, mehr Ausstrahlung und bessere Performances.

Tipp: leider eine Kandidatin für den letzten Platz

18. Polen: Monika Kuszyńska - In the Name of Love

Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich fand in Sachen Inklusion den finnischen Beitrag wesentlich stärker und authentischer. Zu sehr drückt Polen die Mitleidstaste, was ich weniger als Empowerment von Menschen mit Behinderungen wahrnehme. Aber das ist meine ganz subjektive Sicht als Nichtbetroffener. Der Finaleinzug kam eher überraschend, aber man muss ihr doch bescheinigen: Sie fühlt den Song und das kommt auch rüber.

Tipp: unteres Mittelfeld

19. Lettland: Aminata - Love Injected

Mit Belgien die außergewöhnlichste Nummer des Abends. Indie-Electro-Pop, der eher nicht jedermanns und jederfraus Sache ist, aber wirklich auffällt. Aminata, mit Eltern aus Lettland und Burkina Faso, zieht das Publikum in den Bann.

Tipp: unberechenbar, eher oberes Mittelfeld

20. Rumänien: Voltaj - De la capăt–All Over Again

Die sozialpolitische Botschaft aus Rumänien spaltet vor Ort die Fans. Die einen lieben es, die anderen hassen es. Ich gehöre eher zu ersteren. Sehr tragende und sichere Stimme, schöne Botschaft über rumänische Kinder, solider Song.

Tipp: oberes Mittelfeld

21. Spanien: Edurne - Amenecer

Jedes Jahr kommt ein Beitrag recht selbstbewusst daher: Komponiert, um zu siegen, Sängerin mit Stimme und Aufbau, damit man ja begeistert zu sein hat. Und dann will der Funke einfach nicht rüberspringen, alles bleibt Fassade, nichts spürt man. Wie ein barock nachgebautes Gebäude ohne Innenleben.

Tipp: weit hinten

22. Ungarn: Boggie - Wars for Nothing

Wir sind eh alle gegen den Krieg und wir mögen es auch, wenn man aus Kalaschnikows Bäume macht – alles eh ganz wunderbar. Aber musste wirklich ein Song, der im Pfarrheim gut reüssieren könnte, ins Finale kommen? Mir ist das ein Rätsel, aber vielleicht bin ich jetzt auch nur gemein.

Tipp: weit hinten

23. Georgien: Nina Sublatti - Warrior

Die feministische Hymne aus Georgien ist der letzte übrig gebliebe "Warrior"-Song, nachdem Malta ausgeschieden ist. Nina Sublatti hat auf jeden Fall eine gute Stimme, für eine Top-Platzierung reicht das aber nicht. Trotzdem wird sie immer wieder als Dark Horse bezeichnet.

Tipp: Mittelfeld

24. Aserbaidschan: Elnur Hüseynov - Hour of the Wolf

Die Stunde des Wolfs aus Aserbaidschan bedeutet dunkle Wälder, Mondfinsternis und eine schlaflose Nacht. Das alles trägt Elnur Hüseynov sehr überzeugend vor. Das sind genau die Art Songs, die aus dem Osten und Westen Punkte abräumen können. Kluge Wahl Aserbaidschans. Wird wohl wieder ein Top-Platz.

Tipp: Top 10

25. Russland: Polina Gagarina - A Million Voices

Verlogener Beitrag oder echtes Statement gegen Krieg? Putin-treu oder Putin-kritisch? Seit Wochen streiten Medien darüber, was von dem Beitrag zu halten ist. Der aus der schwedischen Kompositionsfabrik entstammende Beitrag ist aber sehr stark und die Ausstrahlung der Sängerin ist auch sehr stark. Vielleicht müssen wir ja 2016 ein paar Regenbogenfahnen einpacken, wenn wir im Mai Moskau, Sotschi oder St. Petersburg besuchen.

Tipp: Top 5, Siegeskandidatin

26. Albanien: Elhaida Dani - I’m Alive

Die Vorausscheidung beim traditionellen Këngës-Festival gewann sie mit einem anderen Song, der Komponist weigerte sich aber auf drei Minuten zu kürzen, also kam Elhaida Dani mit einem neuen Song im Gepäck nach Wien. Den trägt sie nett vor. Beim Song Contest gewinnen aber nur Songs, an die man sich danach noch erinnert. Das ist bei Albanien nicht der Fall, den Song hat man nach drei Minuten vergessen.

Tipp: weiter hinten

27. Italien: Il Volo - Grande amore

Sie gelten überall neben Schweden als die heißesten Favoriten. Aber noch nie konnten Pop-Tenöre beim Song Contest reüssieren. Klar, der Sanremo-Sieger "Grande amore" ist großes Kino. Da werden Teenie-Herzen ebenso höher schlagen wie die der Schwiegermütter (und Männerherzen). Sie setzen volle Länge auf römische Klassik. Müssen wir uns darauf 2016 etwa einstellen?

Tipp: Top 5, Sieg möglich (Marco Schreuder, 23.5.2015)