Wenn der neue Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), der Uruguayer Luis Almagro, heute, Dienstag, sein Amt antritt, gibt es rundum nur erwartungsvolle Gesichter. Lateinamerika hat sein Hinterhofdasein abgestreift. Präsident Barack Obamas im Dezember begonnene Kuba-Annäherung, erweitert um freundliche Reden und kräftige Händeschüttler beim Amerika-Gipfel in Panama im April, festigen eine Schönwetterperiode für alle.

Staatsmann auf Augenhöhe

Kubas Präsident Raúl Castro, inzwischen 84-jährig, genießt die Gunst der Stunde. Er versteht sich als Sieger in einer 55 Jahre dauernden Konfrontation, die die Zuckerinsel nicht in die Knie zwingen konnte. Nicht als verfemter Terrorist, sondern als Staatsmann auf Augenhöhe mit seinem Amtskollegen Obama zu reden, ohne die eigenen Prinzipien aufzugeben, aktivierte für Castro alle Sensoren eines geglückten Spiels. Mehr braucht es vorerst nicht, denn eine handfeste Versöhnung über die bloße diplomatische Einrenkung hinaus wird Jahre dauern.

Immerhin profitieren die Kubaner, die unter dem verqueren ideologischen Überbau der Castros viele Freiheiten eines mikrokapitalistischen Alltags ausprobieren dürfen, deutlich von der Öffnung mit den USA. Mehr Dollarüberweisungen und massiv mehr US-Besucher strömen ein.

Revolution braucht Fünfsterneluxus

Europäer aufgepasst: Die schönen Zeiten des relativ billigen Viersterneangebots der vergangenen zehn Jahre enden. US-Touristen treiben die Preise und besetzen die - begrenzten - Hotelkapazitäten. Allein in diesen Monaten, hören wir, stiegen die Preise um 30 Prozent. Kubas devisenhungrige Revolution braucht Fünfsterneluxus! Havanna wird wieder amerikanisch sein, allerdings nicht als Opfer des US-Imperialismus, sondern als Ort einer Nord-Süd-Verbrüderung, wie vor einhundert Jahren vom kubanischen Dichter José Marti erträumt.

Optimismus gedeiht auch in der OAS. Diese 1948 gegründete und heute von allen 35 souveränen Staaten des Kontinents getragene Organisation (Österreich ist als "permanent observer" dabei) diente lange als "Trojanisches Pferd" des US-Imperiums. Wer gegen Washingtons Spielregeln löckte, wurde bestraft. Deswegen 1962 die Suspendierung des mit der Sowjetunion kooperierenden Kubas (was 2009 einseitig zurückgenommen wurde). Im Kalten Krieg forcierte Washington im "Hinterhof" eine strikt antikommunistische Politik, was mehrere hässliche Interventionen zur Folge hatte. Remember Chile 1973! Kuba kam nur davon, weil es die Atommacht Sowjetuinon umarmte.

Erfreulicherweise begann schließlich auch in der OAS ein frischer Wind zu wehen. Während Lateinamerikas Staaten infolge erfolgreicher Modernisierung und dank des unerwarteten Rohstoffbooms an Selbstbewusstsein gewannen, zog der Chilene José Miguel Insulza für zehn Jahre als Generalsekretär in das Hauptbüro der OAS in Washington ein.

OAS setzte Akzente

Insulza hatte als junger Revolutionär dem sozialistischen Präsidenten Allende gedient, um dann, im mexikanischen Exil, zu einem geläuterten außenpolitischen Analytiker heranzureifen. Seine zehnjährige Amtszeit setzte Akzente in den Bereichen Menschenrechte, Demokratieförderung, Wahlbeobachtung und Umwelt. Sein Nachfolger Luis Almagro wird diese Linie weiterziehen.

Im Rahmen einer erweiterten Agenda wurde auch der alle drei Jahre stattfindende "Gipfel der Amerikas" eingerichtet. Vorerst sabotierte Washington eine Einladung an Kuba. Doch das Drängen der Lateinamerikaner auf die Rückkehr Kubas in das interamerikanische System wurde stärker. Im Vorfeld des Panama-Gipfels drohte eine progressive lateinamerikanische Allianz mit dem Platzen der Veranstaltung. Obama blieb nichts anderes übrig, als Kubas Teilnahme zu akzeptieren, was mit dem im Dezember 2014 initiierten Rapprochement mit Havanna - nicht zufällig - zusammenfiel. So kam es in Panama im April zum überfälligen Händedruck zwischen Obama und Castro.

Bösartige "Schurkenstaaten" blieben aus

So macht auch Obama ein artiges Gesicht zur neuen Situation. Seine Regierung hatte Lateinamerika, allen gescheiten Beratern zum Trotz, arg vernachlässigt. Asien war wichtiger. Zudem blieben bösartige "Schurkenstaaten" aus. Als Venezuelas Chavez-Maduro tentativ diese Rolle einnahm, stellte sich heraus, dass Washington nicht mehr nach alter Manier brutal, sondern nur mit "soft power" reagieren konnte und wollte. Die läppische Einstufung Venezuelas, wirtschaftlich zerrüttet, als "Gefahr für die USA" brachte den lateinamerikanischen Chor nur zum hämischen Lachen.

Offensichtlich hat die Monroe-Doktrin ausgedient. Was bedeutete sie? Diese Formel ist nichts anderes als das Substrat von zwei vagen Passi in der Rede an die Nation von US-Präsident James Monroe am 2. Dezember 1823, gerichtet gegen Einmischungen der Europäer auf dem Südkontinent. Wenn also ein lateinamerikanischer Akteur mit einem europäischen Staat gegen die Vormacht der USA zusammenarbeiten wollte, schlug der "big stick" zu. Nach meiner Zählweise passierte dies während der vergangenen 190 Jahre direkt oder indirekt in 89 Fällen.

Bunte Blumen blühen

Und heute? Eine militärische Intervention alten Stils ist undenkbar. Obama ersetzt "hard power" durch "soft power". Aber deren Durchsetzungskraft - siehe Venezuela - ist gering. Daher können im heutigen Lateinamerika ideologisch und politisch unbekümmert bunte Blumen blühen.

Die Monroe-Doktrin ist tot. Kuba kehrt schrittweise in die interamerikanische Gemeinschaft zurück. Papst Franziskus kommt im September nach Havanna. All dies ist höchst erfreulich. (Gerhard Drekonja-Kornat, 25.5.2015)