Was haben die Regionalwahlen in Spanien und die Präsidentschaftswahlen in Polen gemeinsam? Auf den ersten Blick wenig, bei näherer Betrachtung sehr viel. Denn sowohl in Spanien als auch in Polen wurden etablierte Parteien und ihre Repräsentanten abgestraft. Diejenigen, die überhaupt noch ihre Stimme abgaben, wählten in sehr deutlichem Ausmaß Alternativen und setzten damit ein Zeichen, das über ihr Land hinausgeht. Von den Regierenden, von den sogenannten Volksparteien, fühlen sich viele nicht mehr vertreten und strafen diese ab. Davon profitieren Bewegungen und Parteien an den Rändern – rechts wie links.

In Polen war es die Arroganz der Mächtigen, verkörpert durch den liberalen Präsidenten Bronislaw Komorowski, der zum Aufstieg von Andrzej Duda führte. Er war bisher ein Hinterbänkler in der von Jaroslaw Kaczyński geführten ultrakonservativen Partei "Recht und Gerechtigkeit", die in den vergangenen Jahren am rechten Rand dahingedümpelt war. Sie fiel vor allem mit dem Totenkult um den 2010 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen damaligen Präsidenten Lech Kaczyński auf. Ob der bisher vorsichtige Duda sein eigenes Profil entwickelt oder als Marionette Kaczyńskis agiert, wird nicht nur vom Nachbarn Deutschland mit Argwohn betrachtet. Als die Kaczyński-Brüder – Lech war Präsident, Jaroslaw 2006/ 2007 Premier – regierten, herrschte zwischen Warschau und Berlin beziehungsweise Brüssel Eiszeit.

Auch die Spanierinnen und Spanier nutzten die Stimmabgabe, um ihren Protest gegen die vorherrschenden politischen Verhältnisse zum Ausdruck zu bringen. Das brachte eine Zäsur: Das seit dem Tod des Diktators Franco bestehende Zweiparteiensystem ist aufgelöst. Die konservative Volkspartei (PP) von Premierminister Mariano Rajoy und die oppositionellen Sozialisten (PSOE), die sich stets an der Macht abgewechselt haben, müssen die Macht mit Parteien teilen, die das sind, was Jean Ziegler in seinem Buch Ändere die Welt "Graswurzelbewegung" nennt.

Neben dem linksalternativen Sammelbecken Podemos ("Wir können"), das für diese Wahl viele Allianzen eingegangen ist, konnten sich in vielen Kommunen die Ciudadanos ("Bürger") etablieren, die einen Teil der politischen Mitte besetzen und landesweit drittstärkste Kraft wurden. In Barcelona war es vor allem die Person Ada Colaus. Als Galionsfigur im Kampf gegen Zwangsräumungen schaffte sie es ins Bürgermeisteramt. Podemos unterstützte ihre Bewegung genauso wie jene von Manuela Carmena in Madrid, die als Zweitplatzierte gute Chancen hat, dank Koalitionspartner Bürgermeisterin der Hauptstadt zu werden.

Es ist aber nicht nur der Protest gegen die Sparpolitik, mit der Rajoy zwar das Land aus der Rezession führte, während die Arbeitslosigkeit bei 24 Prozent blieb: Es sind vor allem Korruptionsfälle bei Konservativen und Sozialisten, gegen die viele ein Zeichen setzen wollten - und ein Signal gegen die Auswirkungen der Austeritätspolitik in Europa. Anders als die griechische Syriza gibt sich die spanische Podemos aber europafreundlich.

In Spanien und in Polen finden im Herbst Parlamentswahlen statt. Dann wird sich zeigen, ob sich der Erosionsprozess etablierter Parteien fortsetzt und Bürger aus Protest lieber Alternativen wählen, wie sie dies in Griechenland getan haben. Das würde die politische Kultur und Agenda in ganz Europa verändern. (Alexandra Föderl-Schmid, 25.5.2015)