Ein Video der Comedy-Truppe All India Bakchod verhalf dem Thema Netzneutralität zu großer Aufmerksamkeit.

Mit rund 1,3 Milliarden Menschen ist Indien das in Sachen Bevölkerung zweitgrößte Land der Welt. Es zählt als sogenanntes Schwellenland zu den Hoffnungsmärkten für Branchen wie die Elektronikindustrie. Und auch Telekomfirmen profitieren vom wirtschaftlichen Aufschwung und der steigenden Nachfrage nach Internetverbindungen.

Alleine in den vier vergangenen Quartalen konnten drei der größten Provider des Landes rund 25 Millionen neue Kunden im Bereich des mobilen Breitbands gewinnen. Doch auch in Indien blicken die Telekomunternehmen mit Missfallen auf die steigende Popularität von Messengern wie WhatsApp, die zunehmend auch über Anruffunktionen verfügen und auf diesem Wege die Einnahmen durch normale Telefonie und SMS drücken.

Provider wollen Geld für WhatsApp und Co.

Sie verlangen freie Hand bei der Tarifgestaltung und möchten etwa für die Nutzung verschiedener Apps Zusatzentgelt verrechnen dürfen. Das, und andere Forderungen, spiegeln sich in einem 118-seitigen Konsultationspapier der indischen Telekomaufsichtsbehörde TRAI wider, das Ende März veröffentlicht wurde. Im Prinzip, so schreibt der Guardian, beinhaltet das Dokument die Idee eines Lizenzmodells für internetbasierte Dienstleister wie WhatsApp und schlägt die Vernichtung der Netzneutralität vor.

Konkret soll demnach jeder Anbieter, der beispielsweise mit einer App textbasierte Kommunikation oder Anrufe ermöglicht, eine Lizenz kaufen müssen. Empfohlen wird außerdem, dass sich diese Betreiber außerdem bei den Telekomfirmen registrieren, um eine "reibungslose" Übertragung ihrer Services sicher zu stellen.

Das Modell würde WhatsApp und Co. praktisch zu einem Verkäufer der Mobilfunkanbieter machen. Jene, die den Lizenzierungsweg nicht beschreiten, würden gedrosselt, blockiert oder für den Nutzer verteuert, erklärt Nikhil Pahwa von Medianama.com.

Comedians rücken Thematik in den Fokus

Obwohl es sich um ein öffentliches Konsultationsverfahren zur Erörterung neuer Regeln handelt, waren vorerst fast nur die Telekomfirmen am Wort. Der Widerstand aus den Reihen der Öffentlichkeit war kaum wahrnehmbar. Doch das änderte sich am 11. April, als das populäre Comedy-Ensemble AIB sich des Themas annahm.

Die Entertainer erklärten Netzneutralität mit einfachen Worten und veranschaulichten dem Publikum, welche Folgen die aktuellen Empfehlungen der Regulierungsbehörde auf die Nutzung des Internets in Indien haben könnten. Teilweise waren diese auch bereits ersichtlich, im Dezember 2014 begann der Provider Airtel zusätzliche Gebühren für Anrufe über Viber und Skype zu verlangen, selbst wenn die User ihr Datenkontingent noch gar nicht verbraucht haben.

All India Bakchod

Déjà-vu

Das erinnert freilich an die Debatte in den USA. Auch dort schienen die Internetprovider mit ihren Forderungen nach kostenpflichtigen Zusatzdiensten die Überhand zu behalten, ehe der Comedian John Oliver das Thema prägnant und unterhaltsam aufbereitete und damit eine öffentliche Protestlawine in Richtung Regulierungsbehörde FTC lostrat. Diese hat mittlerweile ein striktes Regelwerk veröffentlicht und sich klar für die Wahrung der Netzneutralität ausgesprochen. Die Telekommunikationsbranche versucht mittlerweile – und bislang erfolglos -, ihre Interessen mit Klagen durchzusetzen.

Ein ähnlicher Verlauf konnte auch in Europa beobachtet werden. Auch am "alten Kontinent" wurde von der Öffentlichkeit Druck auf Entscheidungsträger ausgeübt. Das EU-Parlament sorgte schließlich für die Aufrechterhaltung der Netzneutralität, wenn auch mit etwas laxeren Regeln als jene, die später die FTC erließ. Zuvor zeigten sich manche Anbieter gegenüber Sonderbehandlungen mancher Dienste nicht abgeneigt, A1-Chef Hannes Ametsreiter konnte sich etwa vorstellen, den Streaming-Anbieter Netflix für "optimierte" Leitungen zahlen zu lassen.

Protest zeigt Wirkung

Getragen von dem AIB-Video und Initiativen wie Save The Internet landeten bis zum Stichtag für Einsendungen am 24. April rund 1,1 Millionen Nachrichten bei der TRAI. Save The Internet stellte dafür etwa einen vorgefertigten Brief mi Antworten auf die 20 Fragen des Regulators zur Verfügung, den die Nutzer mit wenigen Klicks unterzeichnen und abschicken konnten. Dazu wurde das Konsultationspapier auf 23 Seiten zusammengefasst. Laut Pahwa sollen selbst einige Abgeordnete im indischen Parlament lieber diese Kurzfassung anstatt des Originals lesen.

Die vormals fast unsichtbare Debatte um die Netzneutralität verankerte sich in der Öffentlichkeit, was bald Wirkung zeigte. Airtel stoppte die Zusatzverrechnung von Skype und Viber und erklärte, auf den Entscheid der TRAI zu warten. Gleichzeitig erlitt das von Facebook federführend betriebene Internet.org-Projekt Rückschläge. Eine Reihe von Medienunternehmen und das Reiseportal Cleartrip kündigten Facebook die Partnerschaft auf und sprachen sich für Netzneutralität aus.

Der Onlinehändler Flipkart, der sich bei Airtel als "Zero-Rate-Dienst" eingekauft hatte und für dessen Kunden damit stets kostenlos abrufbar war, stieg aus dem Vertrag mit dem Provider aus. Und auch in der Politik wurden Gegenstimmen hörbar. Diese Entwicklungen sind auch insofern spannend, da es gegenwärtig keine gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität in Indien gibt.

Provider zücken "soziale" Karte

Der Provider-Verband COAI fordert nun, Zero-Rate-Dienste aus sozialen Gründen zuzulassen. Denn diese, so argumentiert man, seien nicht für reguläre Kunden gedacht, sondern nur für jene, die sonst überhaupt keinen Zugang zum Internet hätten. Gleichzeitig fordert man im Gegenvorschlag weiterhin, Nachrichten und Anrufe über WhatsApp verrechnen zu dürfen.

Mit "Sabka Internet, Sab ka Vikas" (grob übersetzt: "Das ganze Internet, die ganze Entwicklung") organisierte der Verband eine eigene Kampagne für Befürworter des Zero-Rate-Modells und will, so berichtet der Indian Express, nach eigenen Angaben vier Millionen Unterstützer gefunden haben.

Medianama.com hält hier in einem weiteren Schreiben an die TRAI dagegen, dass Indiens vier größte Telekomanbieter in nur einem Quartal 8,5 Millionen Kunden für Datendienste gewonnen haben und ihre Einnahmen pro Kunden teils deutlich gestiegen sind.

"Haben die Debatte öffentlich gemacht"

Die indische Zivilgesellschaft hat den Kampf mit den Internetanbietern um die Netzneutralität aufgenommen. Eine Entscheidung dürfte in den nächsten Wochen fallen. "Diese Konsultationen waren nur dem Namen nach öffentlich", sagt Pahwa. "Aber es sind keine öffentlichen Konsultationen, erst wir haben sie dazu gemacht." (gpi, 26.05.2015)