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Alexander Wrabetz ist weisungsberechtigter Vorgesetzter von Radiochef Karl Amon.

Foto: APA / Georg Hochmuth

Wien - Und wieder ein Hearing für einen ORF-Leitungsjob, das die immer gleichen Fragen nach politischem Einfluss und öffentlich-rechtlicher Fügung aufwirft. Ein Hearing, das vor allem den Generalverdacht zu bestätigen scheint: Je näher die nächste Bestellung der ORF-Führung, desto mehr Wünsche von (Regierungs-)Parteien gilt es zu erfüllen. Auch wenn ein Teil der überraschenden Abläufe einen durchaus logischen Hintergrund hat.

Tausche Juroren

Da werden zwei von vier Juroren (formell: Assessoren) für das Hearing wenige Tage vor dem Termin ausgetauscht. Und da liegt wieder einmal jener Kandidat nach dem Hearing vorne, der in der Redakteursversammlung mit nur einer Stimme weit, weit hinten lag. Und dessen ressortspezifische Erfahrung jedenfalls geringer ist als die der übrigen Mitbewerber um den Job.

Worum geht es? Der Ressortleiter Wirtschaft im Radio sollte eigentlich nicht nachbesetzt werden, als Michael Csoklich sich verabschiedete, zumal die ORF-Medien im geplanten multimedialen Newsroom auch in multimedialen Ressorts zusammenarbeiten sollen. Hieß es im Herbst 2014. Und bald, weil der Multimedia-Newsroom erst 2019 bis 2021 laufen dürfte, hieß es: Csoklich dürfte doch nachbesetzt werden, freilich befristet.

Im Februar 2015 schrieb der ORF die Funktion interimistisch aus, im März stimmten die Redakteure wie vorgesehen ab. Najda Hahn, Csoklichs Vize Volker Obermayr und Christoph Williwald galten als Favoriten.

Mit Rammerstorfer nach Wien

Auch Ellen Lemberger und Barbara Battisti haben Bewerbungen abgegeben. Und Rupert Kluger. Kluger ist Chef vom Dienst bei Ö3. Er hat Wirtschaft in Wien studiert, war dann Redakteur, Redakteurssprecher und Moderator im Landesstudio Oberösterreich, kam mit dem Bürgerlichen Kurt Rammerstorfer aus dem Landesstudio Oberösterreich wieder nach Wien zu Ö3, als Rammerstorfer 2002 doch nicht ORF-General und Radiodirektor unter der bürgerlichen Monika Lindner wurde. Rammerstorfer wurde in den vergangenen Monaten wieder als bürgerliche Option etwa für den neuen Job eines zentralen Infodirektors gehandelt.

Mitte März 2015 stimmten die Radioredakteure ab, Williwald erhielt - mit deutlichem Vorsprung, heißt es - die meisten Stimmen. Kluger, so sagen Menschen mit Einblick in die Abstimmung, eine.

Für Führungsjobs im ORF sind Hearings vorgesehen, Frauen ist bei gleicher Qualifikation der Vorzug zu geben. Zum Hearing bestimmt der zuständige Direktor - in dem Fall: Karl Amon - vier so genannte Assessoren aus dem Unternehmen.

Kommando zurück

Für vorigen Mittwoch war das Hearing angesetzt, die vier Assessoren längst eingeladen: Waltraud Langer, ORF-Fernsehmagazinchefin; Werner Dujmovits, der Chefproducer Radio, ist für einen redaktionellen Job ein eher ungewöhnlicher Assessor; Brigitte Wolf, ORF-Landesdirektorin in Wien; und Christoph Varga, Ressortleiter Wirtschaft im Fernsehen und vorige Woche mit dem renommierten Horst-Knapp-Preis der Bank Austria für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet.

"Redakteursvertreter berichten mir und ich selbst beobachte, dass der Appetit der Parteien auf Mitbestimmung bei Jobs im ORF gerade wieder größer wird", sagte Christoph Varga vorige Woche in seiner Dankrede. Das war am Abend nach dem Hearing, von dem er ausgeladen wurde.

Weisungsberechtigter Vorgesetzter von Radiodirektor Karl Amon ist - wie für alle anderen ORFler - der Alleingeschäftsführer des ORF, Alexander Wrabetz. Die Organisation von Hearings übernimmt die zentrale Hauptabteilung Human Resources.

Draxler, Totzauer

Statt Varga wurde wenige Tage vor dem Hearing der steirische ORF-Landesdirektor Gerhard Draxler zum Assessor nominiert. Er wurde einst 2002 mit Lindner und Rammerstorfer Infodirektor des ORF. Und wo ein Landesdirektor ist, kann kein zweiter sein, jedenfalls als Assessor in ein und demselben Hearing, so wird der nächste Schritt kolportiert. Und so wurde auch Wolf wieder ausgeladen.

Wer übernahm ihre Funktion? Lisa Totzauer, Infochefin von ORF 1, eine höchst engagierte, kompetente, führungsfreudige und innovative Journalistin, die etwa die Entwicklung der "Wahlfahrt" verantwortete und des "ZiB Magazin", und die in den Rot-Schwarz-Kategorien des ORF als bürgerlich und Führungshoffnung eingestuft wird.

Mitbewerber mitbestimmen

Warum nicht Varga? Die Begründung klingt durchaus schlüssig: TV-Wirtschaftschef Christoph Varga würde im multimedialen ORF-Newsroom der Vorgesetzte des neuen Radio-Chefredakteurs, hieß es intern nach STANDARD-Infos zur Begründung für den Wechsel. Die Erklärung regt immerhin die Fantasie über Führungsszenarien im Multimedia-Newsroom an.

Vorgesetzte können tatsächlich nicht Assessor sein. Bis eine solche Multimedia-Struktur umgesetzt wird, vergehen wohl zumindest eineinhalb Jahre, eher mehr im ORF. Und: Es ist heute nicht mit Sicherheit auszuschließen, dass Totzauer in einer Multimedia-Struktur eine Vorgesetzte des zu Bestellenden wird.

Die tatsächliche Begründung lautete nach neueren STANDARD-Infos ein kleines, aber wesentliches Stück anders: Um den künftigen Multimedia-Ressortchef Wirtschaft würden sich wohl sowohl der bisherige TV- als auch der bisherige Radio-Ressortchef bewerben. Varga würde also als Assessor für's Radio seinen künftigen Mitbewerber um diese Funktion mitbestimmen.

Warum freilich nur ein Landesdirektor Varga ersetzen kann und deshalb eine andere Landesdirektorin aus dem Hearing ausgeladen wird, erklärt das nicht.

Kluger auf Platz 1

Vielleicht hätte das Hearing in Originalbesetzung ja dasselbe Ergebnis gebracht wie in der neuen, kurzfristig umbesetzten Formation. Nach STANDARD-Infos liegt nach diesem Hearing Rupert Kluger an der ersten Stelle, vor Obermayr und Williwald.

Williwald soll mit seiner Ö3-Erfahrung einen besonders erfrischenden Eindruck im Hearing hinterlassen haben, sagen Menschen mit Einblick in die Vorgänge. Kluger freilich vereine mehrerlei Vorzüge, so sollen die Assessoren ihre Reihung erklärt haben. Im ORF können solche Formulierungen - nur ganz grundsätzlich - immer etwa auch bedeuten, dass der Kandidat oder die Kandidatin andere Besetzungen ausbalancierend erleichtert.

Amon schlägt vor

Radiodirektor Karl Amon ist dafür zuständig, dem General einen Kandidaten vorzuschlagen, Wrabetz bestellt dann. Amon hat sich in früheren Fällen vielfach, etwa bei der umstrittenen Wahl des Innenpolitikchefs im Radio, darauf festgelegt, dass er die Sieger des internen Hearings vorschlägt. Aber, auch hier lässt sich ein schöner Gemeinplatz einsetzen: Was ist schon fix für alle Zeiten?

"ORF gehört nicht einzelnen Parteien"

Christoph Varga sagte vorige Woche gleich nach seinem Befund über wachsenden "Appetit der Parteien" noch etwas zum Thema: "Diesen Appetit gilt es zu verderben. Große Nähe zu einer Partei und kritischer Journalismus schließen sich aus. Der ORF gehört den Österreicherinnen und Österreichern und nicht einzelnen Parteien."

Update: Redakteursrat kritisiert Hearings

Dieter Bornemann, Vorsitzender des Redakteursrat erinnerte am Montag auf STANDARD-Anfrage zum Thema an die Kritik der Redakteursvertretung an solchen ORF-Hearings - sie wären nicht nachvollziehbar, und "am Ende gewinnt offenbar immer der Kandidat, den die Geschäftsführung sich wünscht" - mehr hier (Link).

Update: ORF weist Vorwürfe zurück

"Das stimmt natürlich nicht", wies ORF-Kommunikationschef Martin Biedermann die Vorwürfe zurück. Bei der Auswahl der Hearing-Juroren wurde demnach darauf bedacht genommen, dass nicht potenzielle Vorgesetzte oder Mitbewerber um Posten in einer künftigen multimedialen Organisationsstruktur bei der Beurteilung der Bewerbern mitentscheiden. Sowohl TV-Wirtschaftschef Varga als auch der neue Radio-Wirtschaftschef sind wie geschildert mögliche Kandidaten für den künftigen Multimedia-Ressortchef Wirtschaft. Und der ORF dementiert auch Parteibegehrlichkeiten in der Causa. "Es gibt keine Personalwünsche von irgendeiner Partei", so Biedermann.

Update: Betriebsrat ortet "massives Problem"

ORF-Zentralbetriebsratsobmann Gerhard Moser ortet um die Suche nach einem neuen Wirtschaftsressortleiter für das ORF-Radio ein "massives Problem" und will die Causa in den nächsten Tagen prüfen. "Leider ist es nicht der erste Fall, dass es bei ORF-Hearings fragwürdig zugeht", erklärte Moser am Montag.

Und: "Auch diesmal wurden entgegen allen Verpflichtungen Hearing-Ergebnisse öffentlich gemacht. Das ist der eine Punkt, der zweite Punkt ist zumindest ebenso problematisch, wenn nicht noch gravierender. Sollte auch nur ein Bruchteil der öffentlichen Vermutungen über dieses Personalauswahlverfahren zutreffen, und auf den ersten Anschein ist es mehr als das, stehen wir im ORF vor einem massiven Problem", meinte der Betriebsratschef. (red, APA, 1.6.2015)