Körperliche Verrenkungen geschundener Seelen: Das Zagreber Zekaem-Theater erzählt "Die Möwe" mit unverbrauchtem Slaptsick.

Foto: Mara Bratoö / ZKM

Wien - "Das Seil ist zu dick" - diesen Satz hat man in Anton Tschechows Künstlerdrama Die Möwe noch nie gehört. Und auch sonst bringt das Zagreber Zekaem-Theater in seinem Festwochen-Gastspiel eine unbekannte Tschechow-Welt zum Vorschein.

Regisseur Bobo Jelcic hat sich für seine Inszenierung (sie stammt aus 2013) mit dem ersten und dritten Akt begnügt und auch diese zwei, alles andere als texttreu gespielten Dramenteile maximal unterminiert: von Bühnenarbeitern in schweren Schnürschuhen, die vor und hinter der Bühne unbeirrt ihrer Arbeit nachgehen.

Sie sind damit beschäftigt, eine Glühbirne im Schnürboden zu installieren, setzen dafür schweres Gerät (Hebetribüne) in Gang und lärmen.

Luft aus der Blase

Man erinnere sich: Am Beginn von Tschechows Möwe kommen alle zusammen, um sich "die neuen Formen" des Jungdichters Kostja am Theater anzusehen. Diese eine, nun am weniger dicken Seil aufgehängte, jämmerliche Glühbirne erleuchtet jetzt diese von Nina vorgetanzten "Formen".

Regisseur Bobo Jelcic hat vergnügt in die Blase dieser Künstlerpatchworkfamilie gestochen, die angespannte, tragödische, langatmige Luft entweichen lassen und den Rest auf drei abgewrackte Polstermöbel verfügt. Dort wetzt sich in einer grandiosen Auftaktszene Mascha im Angesicht eines drohenden Heiratsantrags den Leib in allen Sitz-, Liege- und Hängepositionen wund.

Nina bringt sich dort für Trigorin in Stellung, Arkadina zupft überlegen an ihrem Stretchkleid (Russian Green) und Kostja zieht den Verband seiner Kopfschussverletzung um eine Kurve weiter, damit er das Haupt auf Mamas Schoß bequemer betten kann. Irgendwann fällt ein kugelrunder Vogel vom Himmel auf den Perserteppich, eine Möwe im Stil der Vorgartenzwerge.

Körperkomik und Slapstick

Tschechow geht in dieser Inszenierung mit Körperkomik auf wundersame Weise Hand in Hand. Das seinen Figuren innewohnende Unbehagen, das grundlegende Unverstandensein - Dialoge sind rar -, das Unwohlsein all der Menschen, die von sich selbst offenbar ohne Begriff sind: Es drückt sich hier mit unverbrauchtem Slapstick aus, in umgestürzten Kanapees, in den körperlichen Verrenkungen geschundener Seelen, in bizarren Szenenfragmenten und den eingangs erwähnten Hardcore-Unterbrechungen durch die "Bühnentechnik".

Bobo Jelcic, der mit abstrusen Familienansichten schon im Brut Wien zu sehen war (S Druge Strane), geht unbekümmert an den Klassiker heran, im Bestreben, ihm Neues zu entlocken.

Das ist gelungen, zum großen Vergnügen des Publikums. (Margarete Affenzeller, 31.5.2015)