Ausschnitt aus Erik von Lieshouts "The Mall" (2010).

Foto: Albertina

Wien – Sagt das Gemälde abfällig zur Zeichnung: "Du bist meine Skizze!" Kontert die Zeichnung: "Und du bist meine Sackgasse!" – Ein kleiner Witz, den der rumänische Künstler Dan Perjovschi mit Kreide direkt auf eine Wand in der Albertina gekritzelt hat, fasst eine klassische gattungstheoretische Diskussion zusammen: Die Zeichnung gilt zwar als das flüchtigere, dafür aber auch flexiblere Medium. Anders als die träge, aufwändige Malerei soll sie unmittelbar dem Denken verbunden sein.

Solche Argumente haben im 20. Jahrhundert freilich so ziemlich ihren Boden verloren. Gemälde können selbstverständlich auch sehr intuitiv entstehen, und die Zeichnung kann umgekehrt Formen annehmen, die weit mehr sind als rasche Skizzen.

Wenn die Albertina mit der Ausstellung Drawing Now 2015 derzeit einen Überblick über diese vielfältigen Ausprägungen der Zeichnung in der Gegenwartskunst gibt, repräsentiert Perjovschi indes eine, die es temporeich mit modernen Medien aufnimmt.

Botschaft vor Ästhetik

Sein Wandbild besteht aus pointierten Kommentaren zum Zeitgeschehen, bei denen die Botschaft vor der Ästhetik kommt. "Viel Euro, wenig Vision", vermerkt er etwa zum Songcontest, das Wort Kunst korrigiert er zu Koons. Perjovschis Hintersinnigkeiten, hingeworfen in Kreide oder schwarzem Marker, geben eine Ahnung davon, inwiefern die Zeichnung ein demokratisierendes Medium ist: Man braucht nur einen Gedanken und einen Stift – schon kann man sich äußern.

Mehr als einen Bleistift braucht auch Paul Noble nicht. Mit seinen den Blick bannenden, großformatigen Arbeiten repräsentiert er dennoch einen anderen "Pol" der Schau. In akribischer Detailarbeit entwirft der Brite Städte, in denen sich auf jedem kleinsten der vielen Ziegelsteine – eingraviert – Kreaturen tummeln. Das Leben auf Monumenten ist aber fast das Einzige, das auf diesen entvölkerten "Wimmelbildern" existiert. Im Gegensatz zu Perjovschis tagesaktuellen Notizen sind Nobles mythologische Szenerien nämlich weltentrückt, legen es auf zeitlose Aussagen und Haltbarkeit an.

Linien aus Grafit oder Draht

Das skizzierte Spannungsfeld ist indes nur eines von mehreren, die sich auftun. 35 durchwegs sehenswerte Positionen sind zu Themenblöcken wie "Simplizität und Komplexität" oder "Der zeitliche Aspekt" gruppiert. Hier hat Constantin Luser mit verausgabungsvoller Geste Landkartenartiges direkt an die Wand gebracht, dort zelebrieren kleinformatige Gouachen Michaël Borremans auf Briefumschlägen und Buchrücken die Intimität des Mediums.

Um Fragen persönlicher Handschrift geht es in diversen kollaborativen Werken, etwa bei Micha Payer und Martin Gabriel: Für die das Verhältnis von manueller Arbeit und technischer Reproduktion thematisierende Serie wiederholte individualfälle (2014/15) kopierten sie ein komplexes Buntstift-Stillleben.

Gemeinsam ist allen, überwiegend überzeugenden Arbeiten, die Frage, was denn nun eine Linie sei. Und man geht ihr auch im Raum nach: Zu sehen ist etwa eine eindrucksvolle, aus schwarzem Draht gebaute Rolltreppe von Fritz Panzer oder ein Vortex von Monika Grzymala: Mit diesem "Wirbelsturm" aus Klebebändern versinnbildlicht sie eindrücklich den gesprengten Bilderrahmen. (Roman Gerold, 7.6.2015)