Er ist einer der berühmtesten Parfümeure: Seit 2004 arbeitet Jean-Claude Ellena für Hermès.

Foto: Hermès

Bei dem Duft Jour d'Hermès Gardenia (ab Mitte August im Handel) vertraut er auf den Geruch der Gardenie.

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Le Jardin de Monsieur Li ist ein Unisex-Duft mit Kumquat und Jasmin.

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STANDARD: Sie sind heute 68 und seit 50 Jahren im Geschäft. Was unterscheidet Ihre Nase von der eines jungen Parfümeurs?

Jean Claude Ellena: Das Parfumbusiness ist ein völlig anderes heute. Meine Generation an Parfümeuren hat Entscheidungen noch unabhängig von Marketingüberlegungen getroffen. Ich konnte oft noch mit dem Präsidenten des Unternehmens zusammenarbeiten und mit meinen Düften im direkten Kontakt verführen und überzeugen. Die einzige Vorgabe war, ob Frauen- oder Männerduft. Heute gibt es meist ein, zwei Instanzen dazwischen, die Düfte werden für den Markt gedacht. Seit Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre kommt dem Marketing ein immer größerer Stellenwert zu. Die jungen Parfümeure produzieren nur noch auf Nachfrage. Nur ganz wenige haben etwas Eigenes anzubieten.

STANDARD: Die Kundinnen haben sich aber auch verändert. Die Körper einer ganzen Generation an Frauen sind von oben bis unten enthaart ...

Ellena: Ja, leider!

STANDARD: Vielleicht geben sich diese Frauen ja besondere Mühe, clean und sauber zu riechen ...

Ellena: Das geht noch viel weiter. Ich glaube, das hat mit unserer Beziehung zum Tod zu tun.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Ellena: Indem ich meinen Körpergeruch beseitige, gebe ich mich der Illusion hin, dass der Tod woanders ist. Ich glaube allerdings, dass den Menschen auch sein ihm eigener Geruch ausmacht.

STANDARD: Und welche Rolle spielt das Parfum dabei?

Ellena: Parfum aufzulegen heißt immer, die Nähe zum Tod zu verschleiern. Man versucht sich zu schützen und verleugnet die eigene Animalität. Nach der französischen Gesetzgebung gelten die Körper auf den Friedhöfen übrigens erst dann als tot, wenn sie keinen Geruch mehr haben. Solange die Körper riechen, ist es sogar gesetzlich verboten, sie zu beseitigen. Es gibt übrigens Stammesrituale, die das ganz ähnlich halten. Nach dem Verwesen des Körpers werden die Knochen erst wieder ausgegraben, wenn sie nicht mehr riechen.

STANDARD: Erlebt mit dem Anstreben von "Reinheit" die Prüderie also eine Art Wiedergeburt?

Ellena: Unbedingt, Gerüche sind vor allem ein Problem der Protestanten – die Katholiken nehmen es da nicht so genau.

STANDARD: Auch die Männer rasieren sich mittlerweile überall. Nähern sich Männer und Frauen heute einander an?

Ellena: Nicht mehr, würde ich sagen. Schauen Sie doch mal auf die Straße, da laufen immer mehr Männer mit Vollbart herum. Der Bart soll wohl Männlichkeit signalisieren, gemäß dem Motto: Seht her, ich bin ein Mann, keine Frau. Männer und Frauen haben sich einander angenähert, indem Frauen männliche Codes und Männer weibliche Codes benutzt haben. Aber irgendwann scheinen die Frauen festgestellt zu haben, dass das keine Männer mehr sind. Und den Männern ist daraufhin scheinbar nichts anderes mehr eingefallen, als sich Vollbärte wachsen zu lassen.

STANDARD: Sie selbst haben einen Bart wohl nicht nötig ...

Ellena: Ich habe ja auch kein Problem mit meiner Sexualität!

STANDARD: Verfliegen Düfte an enthaarten Körpern eigentlich schneller?

Ellena: Ganz klar, ja: Haare halten Duftstoffe fest.

STANDARD: Heute müssen immer weniger Menschen körperlich arbeiten, es wird vor allem im Fitnessstudio geschwitzt. Ist Schweiß heute ein "Tabugeruch"?

Ellena: Natürlich, Schweiß bedeutet immer eine Nähe zum Animalischen. Das steht im Widerspruch zu unserem System. Dabei sollten Menschen lernen, ihren eigenen Körpergeruch zu akzeptieren. Ich finde ja sowieso, dass es nichts Erotischeres gibt als den Geruch von Schweiß. (Anne Feldkamp, Rondo, 1.7.2015)