Drei von vier 1Ds marschieren in Wien auf das Publikum los.

Foto: Heribert Corn

Frauen haben immer recht. Wer als Mann klug ist und die Arterhaltung nicht gefährden will, stimmt dem zu. Es würde sonst schwierig werden, das Überleben der Menschheit zu gewährleisten, wenn die, die immer recht haben, einschnappen und auf entsprechende liebeswerberische Signale nicht mehr positiv reagieren, bloß weil der Freund schon wieder gesagt hat, dass die Musik von One Direction zwar durchaus legitim sexuell anders orientiert, aber eben deshalb auch nicht so wahnsinnig supergut sei. Aber gut, geht er halt mit auf das Konzert, der Maurice.

Der Maurice spielt mit solchen Bemerkungen mit dem Feuer – aber er hat eines richtig erkannt: Ein paar Stunden im Wiener Ernst-Happel-Stadion gemeinsam mit ungefähr 30.000 Frauen und Mädchen, 10.000 tapferen Eltern und 3.999 Boyfriends sind leichter zu ertragen, als nie wieder ein Bussi von der derzeitigen Lebensabschnittspartnerin zu bekommen (eine Entschuldigung an dieser Stelle, es können jetzt nicht Beziehungen abseits der Heteronormativität berücksichtigt werden, sonst wird das echt zu kompliziert).

Gute Miene zum Boyband-Spiel

Eine Grenze gibt es aber bei der guten Miene zum Boyband-Spiel. Man muss nicht auch noch so weit wie einige Kollegen vor Ort gehen und zum Konzert von One Direction ein Band-T-Shirt der Schnulzenheinis anziehen. Meine Güte, was für Schleimer sind das denn?! Es reicht doch, dass man begeistert lächelt und sofort weiter auf Shuffle, Shake und Schwof macht, wenn die Freundin fragend den Kopf zum Maurice dreht. Der Bewegungsmelder hat während eines der größten Hits des britisch-irischen Quartetts einen mehrere Sekunden anhaltenden Bewegungsstillstand bezüglich Singen, Klatschen und Tanzen verzeichnet.

Unmittelbar vor dem Konzert und nach jeder Menge Werbung für ein One-Direction-Duftwasser und ein sehr wahrscheinlich von "Die Tribute von Panem" inspiriertes Pfitschipfeil-Plastikspielzeug ("Nur für Mädchen!") wurde noch die gute alte "Macarena" von den Dorfdisco-Raves der frühen 1990er-Jahre bei zünftiger Lautstärke zugespielt. Tatsächlich, das ganze Stadion tanzte dazu herzergreifend die alten Tanzschritte mit Hand auf Schulter, Hand auf Po, Hand aufs Bauchi, hüpf herum, dann bist du froh. Ein Treffen der Generationen. Sogar die mürrisch hinten bei den Absperrgittern geparkten Aufsichtspflichtväter erinnerten sich kurz daran, dass sie vor 20 Jahren Popmusik auch noch toll fanden. Man verzeichnete eine gewisse motorische Unruhe. Hallo, da ist ja noch Leben drin.

Zigtausendfach vervielfältigte Begeisterungsschreie

Dann ging die Post ab. Vier junge mehr und weniger tätowierte Männer betraten die weitgehend aus Stiegenaufgängen, einem Laufsteg in die Rasenmitte und hinaufgeworfenen Kleidungsstücken, Plastikflaschen und Luftballons bestehende Bühne. Manch einer im Publikum war nun um seinen an der Mineralwassertheke bezogenen Gehörschutz froh. Das so in der Welt nach den Beatles, Michael Jackson, Robbie Williams und den Spice Girls kaum noch derart intensiv vorkommende Kreischen war lauter als die einsetzende Musik. Man muss sich vorstellen, wie es klingt, wenn man zigtausendfach vervielfältigte Begeisterungsschreie aus der Teenieserie "iCarly" mit dem Sounddesign von "Sponge Bob" koppelt und dazu auch noch beim Film "Aliens" auf der Geburtsstation der kleinen Gfraster vorbeischaut. Es war ein wirklich mächtiges Kreischen. Auf einem der von den Fans in die Höhe gehaltenen Plakate stand: "Fick mich, meine Mutter hat es erlaubt." Aber halt auf Englisch. Hölle.

One Direction (oder 1D, wie wir Directioners sie liebevoll bezwitschern) freuten sich jedenfalls sichtlich über den Lärm und sangen schöne Lieder zwischen Liebesklage, Liebesballade, Liebes-Powerballade, Liebes-Stadionrocksong und Liebeslied am Lagerfeuer, bei dem akustische Gitarren verheizt werden. Ein sympathisches Konzept. Immerhin meinte schon Shakespeare: "Wenn Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter!"

Klare Lieder, helle Stimmen

Der heuer im Frühjahr erfolgte, unerwartete und unter Directioners heftig beklagte Weggang des fünften 1Ds Zayn schmerzte zwar die Fans. Die verbliebenen vier Mitglieder Niall Horan, Liam Payne, Harry Styles und Louis Tomlinson brachten die verhaltensunauffällig mit sensiblen Strophen und breit ausladend die Welt umarmenden Refrains gestalteten Songs aber auch so souverän über die Bühne. Klare Lieder, helle Stimmen. Dazu gab es Feuerwerk, Lametta und Videowalls. In der Stadionmitte fuhr gegen Ende streng nach heutiger Teeniepop-Vorschrift eine Rampe mit 1D drauf in zehn Meter Höhe. Toll. Nach knapp zwei Stunden war Schluss – und beinahe 44.000 Menschen waren überglücklich. Vielleicht hat ja daheim auch der Maurice noch ein Bussi bekommen. (Christian Schachinger, 11.6.2015)