In Klagenfurt können Bewohner nicht auf ihr Auto verzichten, betont Bürgermeisterin Marie-Luise Mathiaschitz (SPÖ). In Wien geht es für Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) vor allem darum, die Straßen durch weniger Verkehr lebbarer zu machen.

Foto: Newald

Ein klares Ja zu mehr Dichte trotz großer Unterschiede ihrer Städte kam von Maria Vassilakou (Grüne Wien) und der neuen Bürgermeisterin Marie-Luise Mathiaschitz (SPÖ Klagenfurt) im Politikerinnengespräch, moderiert von Gerfried Sperl.

STANDARD: Wir sind hier in Aspern beim größten Stadtentwicklungsprojekt von Wien. Was kann man daraus für die gesamte Wiener Politik lernen, Frau Vassilakou?

Vassilakou: Wir sehen hier die wesentlichen Grundsätze, die wir zu befolgen versuchen, wenn wir neue Stadtteile entwickeln - aber auch alte Stadtteile sanieren: ein starker Fokus auf die Qualität von Freiräumen und nutzbaren Grünräumen, die Straße ist fürs Leben und nicht nur für die Mobilität. Ein Nutzungsmix nicht nur innerhalb des Grätzels, sondern auch innerhalb ein und desselben Objekts. Und viel Fokus wird auf die Nutzung von Erdgeschoßzonen gelegt, weil wir wissen, dass es das A und O für einen lebendigen Stadtteil ist, dass auch in den Erdgeschoßen bald Leben einzieht. Historisch gesehen, brauchen neue Stadtteile an die 30 Jahre, bis sie das Lebensgefühl entwickeln, das wir aus den beliebten Gründerzeitvierteln kennen. Aber niemand hat Lust, 30 Jahre lang durch ambitioniert gestaltete, aber halbverödete neue Stadtteile zu gehen. Wie schaffen wir es, innerhalb weniger Jahre mit einem Turbo Leben in neue Stadtteile hineinzubringen? Das ist die größte Kunst in der Stadtentwicklung, und das versuchen wir zu unterstützen.

STANDARD: Frau Mathiaschitz, Klagenfurt ist zwar eine Landeshauptstadt mit Universität, aber doch erheblich kleiner als Wien. Sind die Probleme und die Zukunftserwartungen die gleichen?

Mathiaschitz: Nein. Klagenfurt kann ruhig ein bisschen mehr Stadt sein. Wir haben viele Büros, aber 80 Prozent der Beschäftigten sind am Abend weg. Bei uns ziehen immer mehr an den Stadtrand ins Grüne. Unsere Aufgabe ist es, das Zentrum attraktiv für Wohnungen zu machen, leerstehende Gewerbeflächen für sozialen Wohnbau zu nutzen und mehrere Formen des Wohnens unterzubringen. Da braucht man auch Platz für Autos, denn niemand will eine Wohnung haben, bei der es keinen Platz für das Auto gibt.

STANDARD: Hier beim Wohnsymposium war viel davon die Rede, dass Wien eine höhere Bebauungsdichte braucht. Teilen Sie diese Position, Frau Vassilakou?

Vassilakou: Ja, unbedingt. Oft verläuft die Debatte entlang von "Qualität statt Dichte". Natürlich leidet ab einer gewissen Dichte die Qualität. Aber solange die Dichte vertretbar ist, ist es der einzige Weg, wie Wien genügend Wohn- und Lebensraum schaffen kann. Im Vorjahr kamen schon wieder netto 30.000 neue Wienerinnen und Wiener dazu. Das ist die Bewohnerzahl der Stadt Krems. Wenn wir jährlich die Stadt Krems dazubauen müssen, stellt sich die Frage, wie wir mit unserer kostbarsten Ressource umgehen. Das ist Boden, weil er knapp ist, wir Erholungsräume brauchen und Naturräume schützen wollen. Das heißt für die Stadtentwicklung: Wir brauchen hohe Dichte, aber mit Qualität. Für mich lässt sich Qualität eines neuen Stadtteils daran messen, ob er zu den Kindern gut ist. Dann ist er gut für uns alle. Wir wollen, dass sich Kinder frei und sicher bewegen können, im Freien spielen können, dass sie Kontakt zu Natur und Wasser haben, und wir brauchen eine gute schulische Versorgung. Viele Entwicklungen der letzten Zeit - etwa am Nordbahnhof - bringen das gut auf den Punkt. Hier entsteht eine dichte Stadt entlang einer nutzbaren, frei zugänglichen grünen Mitte. Und davon hat auch die gesamte Umgebung einen Mehrwert.

STANDARD: Gilt das auch für Klagenfurt, Frau Mathiaschitz?

Mathiaschitz: Das wird bei uns heiß diskutiert. Unsere Fachabteilung ist der Meinung, dass man zu Kindern gut ist, wenn sie nicht zu weit oben wohnen, also die Wohnhäuser höchstens fünf oder sechs Stockwerke haben. Aber dadurch haben wir sehr enge Abstände zwischen den Wohnräumen, es geht Privatheit verloren, und man kann sich schlechter mit dieser Heimat identifizieren. Aus diesem Grund wünscht sich die Politik, mehr in die Höhe zu bauen.

STANDARD: Was tun die Städte, um die Erdgeschoßzonen zu beleben?

Mathiaschitz: Wir brauchen da soziale Einrichtungen, die das Gemeinschaftsleben pflegen. Das Problem in Klagenfurt ist nicht, dass die Stadt wächst, sondern dass viele junge Menschen weggehen. Wir versuchen im Wohnbau auf geänderte gesellschaftliche Verhältnisse einzugehen - mehr Senioren, Singlehaushalte, und die Möglichkeit, innerhalb der Wohnung eine Arbeitsstätte einzurichten. Wir stoßen hier an unsere Grenzen und bemühen uns, dass diese Möglichkeiten in die Wohnbauförderungsrichtlinien aufgenommen und dann auch wirklich gefördert werden.

Vassilakou: Was Wien dringend braucht, ist eine verbindliche Kooperation mit Niederösterreich für die Ansiedelung von Einkaufszentren. Das größte Problem der Einkaufsstraßen ist, dass Kaufkraft ständig abgezogen wird. Ein zweites Problem haben wir gelöst, indem wir Mindesterdgeschoßhöhen festgelegt haben, sodass Nutzungen möglich sind. Aber viele Mieten sind einfach zu hoch, als dass sie sich ein Verein, eine Kulturinitiative oder ein kleines Unternehmen leisten können. Wir bringen dieser Tage eine Agentur für Zwischennutzungen von leerstehenden Räumlichkeiten auf den Weg. Man könnte auch An- und Weitervermietungen durch die Stadt überlegen oder, so wie in Kopenhagen, eine im ersten Jahr stark reduzierte Miete. So kriegt man Erstnutzer, dann entsteht Leben im Grätzel. Zum Thema Stockwerke und Kinder schlage ich der Frau Bürgermeisterin einen Besuch in Alterlaa vor, wo man sieht, dass Kinder auch weit oben gut leben können. Ich könnte mir vorstellen, dass die Geburtenrate dort etwas höher ist als andernorts in Wien.

STANDARD: Wie hoch ist die Geburtenrate eigentlich in Klagenfurt?

Mathiaschitz: Sie ist rückläufig.

STANDARD: Hat Jörg Haider nicht dafür gesorgt, dass sie steigt?

Mathiaschitz: Er war zwar umtriebig, aber auf der anderen Seite ...

STANDARD: Bei den Verkehrsproblemen, ich meine jetzt die wirklichen, liegen Klagenfurt und Wien wohl am weitesten auseinander.

Mathiaschitz: Unser Hauptproblem ist, dass man in einer Stadt mit 96.000 Einwohnern keinen attraktiven öffentlichen Verkehr zuwege bringt. Das ist einfach nicht leistbar. Dadurch wird es immer Leute geben, die das Auto benutzen. Sämtliche Werbemaßnahmen fruchten nicht, weil es an Attraktivität fehlt. Wir setzen auf eine Radweginitiative, denn Klagenfurt ist eben und liegt am See. Man kommt mit dem Rad rasch von einem Ende zum anderen. Der öffentliche Verkehr ist ein Dauerthema, aber wird so nicht lösbar sein. (17.6.2015)