Links: Farbiges Höhenmodell einer Fußspur: Rote Bereiche stellen die höchsten, blaue die tiefsten Punkte dar.

Rechts: Dreidimensionales Modell mit fotorealistischer Textur.

Foto: Jens Lallensack

Bonn – In einem Kalksteinbruch bei Goslar in Niedersachsen machte ein privater Fossiliensammler im Jahr 2003 eine ungewöhnliche Entdeckung: Auf einer Steinplatte identifizierte er insgesamt 20 Fußabdrücke von Dinosauriern. Ein Forscher des Dinosaurier-Freilichtmuseums Münchehagen barg damals fünf dieser Fährten, um sie vor einer Zerstörung durch Steinbrucharbeiten zu bewahren.

Nun haben Paläontologen der Universität Bonn gemeinsam mit Kollegen vom Landesmuseum Hannover die Fährten in einem dreidimensionalen Modell rekonstruiert. Grundlage waren Fotos der Fußspuren, die damals bei der Grabung gemacht wurden.

Vielsagende Details

Anhand des 3D-Modells konnten die Forscher zahlreiche Informationen über die Verursacher der Fußspuren und ihren damaligen Lebensraum gewinnen, wie sie in "Palaeontologia Electronica" berichten. Die zwischen 36 und 47 Zentimeter langen Abdrücke stammen vermutlich von zwei verschiedenen Raubsaurierspezies aus der Gruppe der Theropoda. Anhand des digitalen Modells lässt sich nun ablesen, wie die einzelnen Fußspuren zueinander angeordnet waren.

"Dadurch konnten wir rekonstruieren, in welche Richtung die Tiere gewandert sind und wie schnell sie unterwegs waren", so Lallensack. Anhand der Länge der Abdrücke lasse sich abschätzen, dass die größten Tiere über eine Körperlänge von etwa acht Metern verfügten. An einigen Stellen hätten die Raubsaurier zudem deutlich tiefere Fährten im Sediment hinterlassen als anderswo. "Wo es nass war, sanken die Saurier deutlich tiefer ein als im Trockenen", berichtet der Forscher.

Sauropodenzwerg

Denn vor rund 154 Millionen Jahren, im Oberjura, erstreckte sich in der Region ein Flachmeer, aus dem kleinere Inseln herausragten. Wie Knochenfunde aus dem Langenberg-Steinbruch bestätigen, waren die Inseln von einer kleinwüchsigen Dinosaurierart, dem Europasaurus holgeri, besiedelt.

Der Pflanzenfresser gehörte zu einer Gruppe gigantischer, langhalsiger Sauropoden. Europasaurus maß ausgewachsen jedoch nur sechs bis acht Meter – lediglich ein Viertel der Länge seines nächsten Verwandten Camarasaurus. "Wahrscheinlich musste der Dinosaurier zum Zwerg schrumpfen, um bei dem begrenzten Nahrungsangebot auf den kleinen Inseln im mitteleuropäischen Flachmeer überleben zu können", sagt Lallensack.

Die Theropoden, von denen die rekonstruierten Dinosaurierfährten stammen, betraten rund 35.000 Jahre später die Bühne. "Möglicherweise gab es innerhalb dieser aus geologischer Sicht recht kurzen Zeitspanne eine Absenkung des Meeresspiegels, und die festländischen Raubsaurier sind neu eingewandert", vermutet Oliver Wings vom Landesmuseum Hannover.

Fataler Wasserrückgang

Die Spuren stammen von einem trockengefallenen Meeresboden in unmittelbarer Nähe zu einer der Inseln. Die Forscher vermuten deshalb, dass die Theropoden vom Festland aus Jagd auf die Europasaurier machten. Alle Kalksteine des Steinbruchs bildeten sich innerhalb eines flachen Meeresbeckens, wie sich an der Vielzahl der marinen Fossilien wie Schnecken, Muscheln oder Seeigeln erkennen lässt.

Die Fußspuren sind der bislang einzige Hinweis auf ein zeitweises Trockenfallen des Gebiets und die Existenz großer festländischen Raubsaurier auf der einstigen Europasaurus-Insel. "Wir vermuten, dass damit auch das Ende der spezialisierten Inselzwerge besiegelt war", so Lallensack. (red, derStandard.at, 22.6.2015)