Kulturminister Josef Ostermayer und Schauspielerin Caroline Peters.

Foto: Regine Hendrich

Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ): "Ich glaube, dass das Leben so gerecht ist, dass Intrigen irgendwann einmal bestraft werden."

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Schauspielerin Caroline Peters: "Es gibt nichts Schlimmeres, als Wissen und Kunst und Kultur elitär machen zu wollen."

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STANDARD: Der französische Regisseur Luc Besson hat einmal gesagt: "Politiker sind Schauspieler ohne Drehbuch, ohne einen Regisseur, der alles zusammenhält." Wie viel Schauspielerei steckt in der Politik?

Ostermayer: Das hängt von den Personen ab. Ich glaube schon, dass es Politiker gibt, die sehr viel spielen, sich verstellen, in Rollen schlüpfen. Aber ich kann's nicht. Das ist nicht immer von Vorteil.

Peters: Das glaube ich sofort.

(Lachen)

STANDARD: Frau Peters, sehen Sie Verbindungen zwischen Ihrer Bühne und der politischen Bühne?

Peters: Nur bedingt. Wenngleich ich beim Stück Professor Bernhardi tatsächlich öfter darüber nachdenke. Die Figur von Niki Ofczarek, Professor Flint, als Unterrichtsminister sagt: Ich hab die im Hörsaal in der Uni genauso gehabt, wie ich sie im Parlament habe. Das ist ein schauspielerischer Moment, dass man sein Publikum fesseln will durch die Art der Rede, die man vollführt, das verbindet Theater und Politik. Aber dass die Rede auch handeln kann, das ist nur in der Politik der Fall – da hängt dann am Ende aller Worte ein zweisprachiges Ortsschild oder nicht. Aber ich glaube, dass Politiker das ja ganz selten machen: im Parlament eine große Rede halten, und damit wird alles entschieden. Es läuft ja eher über ganz andere Foren: Gespräche, kleinere Runden, E-Mails, SMS, Telefonate.

STANDARD: Herr Minister, Sie lächeln vielsagend. Passieren die wesentlichen Dinge in der Politik also auf der Hinterbühne?

Ostermayer: Ja. Mein Montagnachmittag etwa, der findet hinter verschlossenen Türen statt. In der Koordinierungssitzung zur Vorbereitung des Ministerrats versucht man, face to face letzte offene Punkte auszuhandeln. Davor passiert natürlich vieles, bei mir am Telefon. Die SMS, die ich am häufigsten tippe, ist: Kannst du jetzt telefonieren?

Peters: Politik muss sich ja ganz extrem verändern durchs digitale Zeitalter, weil die Dinge immer gleichzeitig passieren.

Ostermayer: Ja, aber das ist nicht unähnlich dem Leben an sich. Die Digitalisierung hat dazu geführt, dass sich die Dinge extrem beschleunigen. In den 70er-, 80er-, 90er-Jahren war die Politik sicher viel langsamer als jetzt. Das ist aber ein gesamtgesellschaftlicher Veränderungsprozess – in allen Bereichen.

Peters: Das stelle ich mir als Politiker wahnsinnig schwer vor, dass man ununterbrochen reagieren muss, weil dauernd das Nächste kommt. Man will ja sicher lieber agieren, als immerzu reagieren, stelle ich mir vor.

Ostermayer: Aber es gibt auch Entschleunigungsmöglichkeiten – ins Theater oder Kino zu gehen etwa.

Peters: Das ist auch meine Meinung! Das wird die neue Zukunft des Theaters, dass wir entschleunigen. Das Theater ist auf einmal der einzige Ort, wo Leute dazu gebracht werden, sich zwei Stunden zu konzentrieren und zuzuhören, eine Eigenschaft, die in unserem Alltag gar nicht mehr gefragt ist. Man muss immer nur zack, rein, Aktion! Es gibt natürlich viele Vorstellungen, wo ein Handy klingelt, und vor allem, wo plötzlich so hellblaue Gesichter wie Ballons im Zuschauerraum auftauchen und wieder verschwinden, von Leuten, die ernsthaft glauben, dass niemand sehen kann, dass sie etwas auf ihrem Handy tippen. Wo ich mir denke, ach, nehmt euch das doch selber nicht, diese zwei Stunden!

Ostermayer: Ich mache das ganz selten und lege ein Geständnis ab. Bei John Gabriel Borkmann habe ich eine SMS schicken müssen. (lacht)

STANDARD: In "Professor Bernhardi" mit Frau Peters als Dr. Cyprian geht es um Antisemitismus, um Rufmord, vor allem ist es ein Lehrstück über die hohe Kunst der Intrige. Ein Pflichtstück für jeden Politiker bzw. jede Politikerin – etwa mit Blick in die Steiermark, wo der SPÖ der Landeshauptmann unter recht dubiosen Umständen abhandengekommen ist? Welche Erfahrung haben Sie mit Intrigen gemacht?

Ostermayer: Ich hoffe, dass ich die Dinge immer möglichst mit offenem Visier spiele, weil ich glaube, es kommt im Regelfall immer alles zurück. Ich glaube, dass das Leben so gerecht ist, dass Intrigen irgendwann einmal bestraft werden. Ich hoffe aber schon, dass es nicht wie im Theater meist letal enden muss.

STANDARD: Wurde die SPÖ in der Steiermark Opfer einer Intrige?

Ostermayer: Ob man es Intrige nennt oder nicht, ist zweitrangig. In der Steiermark – so wurde mir das erzählt – bestand die Möglichkeit oder zumindest wurde damit gedroht, dass Schwarz-Blau kommt und der Erste der Wahl in Opposition geschickt wird. Diese Drohung hat dann dazu geführt, dass es ein Ergebnis gab, wo eine Partei zwar die meisten Stimmen bei der Wahl hatte, aber nach den Verhandlungen Zweiter wurde.

STANDARD: Frau Peters, Sie beobachten die Politik in Deutschland und in Österreich. Was fällt Ihnen da besonders auf?

Peters: Ich betrachte Politik eher allgemein, wie so tektonische Platten, die sich zusammenschieben. Im aktuellen Fall denke ich vor allem darüber nach, wie es sein kann, dass Conchita Wurst zu dem Aushängeschild für Toleranz und Gender-Mainstreaming wird und im selben Moment eine Partei, die alles, wofür Conchita steht, ausgrenzen will, durch eine Hintertür reinkommt. Hat Conchitas Erscheinen denn irgendwie magisch die Tür aufgemacht, oder wie kommt so was zeitgleich? Oder warum muss ich mir in einer Stadt, wo Ampelmännchen Hand in Hand über die Straße gehen, gleichzeitig Sorgen machen, dass Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung plötzlich größer werden? So was beschäftigt mich dann eher, zumal ich außerdem glaube: Man wird eine Intrige niemals, niemals rauskriegen. Das ist das Schreckliche an diesen Dingen und wird in Theaterstücken auch immer wieder gezeigt: Eine Intrige funktioniert. Ein Gerücht funktioniert. Wenn bei Othello einer mitten im Stück hingehen und sagen würde, der Jago hat das Taschentuch hingelegt, nie würde Othello das glauben. Der Vertrauensbruch ist für immer da, nur weil es einer gesagt hat.

Ostermayer: Das ist das Spannende an Theater, dass es solche Mechanismen wieder ins Bewusstsein rufen kann. In Österreich haben sich, ich würde sagen seit 1986, Dinge eingeschlichen, die davor, als die Gesellschaft noch so sensibel war, als No-go erachtet worden wären, etwa ein Spielen mit Antisemitismus. In Deutschland gibt es da – in der Gesellschaft, in der Politik, bei den Medien – einen breiteren Konsens, was nicht möglich ist.

Peters: Das geht wirklich gar nicht!

Ostermayer: Bei uns geht das. Ab Haider ist immer wieder ganz gezielt mit solchen Dingen gespielt worden. Auch bei den zweisprachigen Ortstafeln wurde eine sensible Situation zwischen zwei Volksgruppen immer wieder instrumentalisiert. Und wenn man überlegt, was in der FPÖ Salzburg passiert ist: Da fährt ein Parteiobmann einer demokratischen Partei in eine Teilorganisation und schmeißt dort Menschen raus. Das wäre in der SPÖ denkunmöglich. Die ist demokratisch von unten nach oben organisiert. Das geht nicht, und es ist in einer Demokratie auch extrem wichtig, dass das nicht geht. Aber nach Straches Aktion gab es keinen wahnsinnigen Aufschrei in der Öffentlichkeit, da wurden Worte wie Kraftakt verwendet, irgendwo ist übrigens auch "Säuberung" vorgekommen.

STANDARD: Dem Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzenden Werner Faymann wiederum wird von einigen vorgeworden, dass er zu wenig führt und daher alle machen, was sie wollen. Dann ist plötzlich in der Steiermark der Landeshauptmann futsch, und im Burgenland macht die SPÖ selbst der FPÖ die Tür auf.

Ostermayer: Die SPÖ ist eben keine autokratische oder autoritäre Führerpartei. Wenn sie das wäre, wäre ich nicht in dieser Partei. Es ist ein Grundpfeiler einer Demokratie, dass die Demokratie auch in den Parteien abgebildet ist. Wenn einer sagen kann: Obwohl dich die Wahlberechtigten deines Bundeslands gewählt haben, sage ich, was du zu tun hast ...

Peters: ... dann ist das zutiefst antidemokratisch.

STANDARD: Wann erfüllen Politikerinnen und Politiker in Ihren Augen ihre Rolle gut?

Peters: Allgemein gesagt: Ich finde es erschreckend, wenn sich Politiker für autark halten, wenn sie vergessen, dass sie gewählt wurden und gewählt werden. Wenn sie nur darüber nachdenken, ist es bestimmt genauso gefährlich, dann kann man auch nicht richtig handeln, wenn man jeden Tag die Richtung wechseln muss, weil Stimmungen schwanken. Manchmal muss man Sachen auch durchhalten. Aber ich bin auch ein großer Freund der Sozialdemokratie (lacht), weil ich das Gefühl habe, wenn's das nicht gegeben hätte, dann gäbe es ganz viel nicht. René Pollesch, ein Autor und Regisseur, mit dem ich viel gearbeitet habe, sagt immer: Wenn es in den 70ern keine Sozialdemokratie gegeben hätte, wäre ich nie Autor und Regisseur, der am Burgtheater gespielt wird, geworden, weil ich gar nicht studiert hätte, weil ich der Sohn eines Hausmeisters aus Friedberg in Hessen bin. Das hat mich immer zutiefst beeindruckt, dass da nicht einer mit der Faust auf den Tisch haut, eine Meinung vorgibt, und alle machen Mäuschen, und der Grundgedanke, dass allen etwas gegeben wird, damit jeder irgendwie klarkommt.

STANDARD: Wo sehen Sie das heute repräsentiert?

Peters: Als ich unlängst zum ersten Mal im Konzerthaus war, stand ich da und dachte: Das finde ich gelebte Sozialdemokratie! Schon das Gebäude – diese Mischung aus Art déco und Schwimmhalle, also aus Hochkultur und Allgemeingut. In dem Konzert waren Menschen im Alter zwischen fünf und 100, die alle aus den Sitzen gesprungen sind und getanzt haben, an einem ganz normalen Mittwochabend. Ich habe das wirklich als total irres Kulturerlebnis erlebt. Es gibt Klassenunterschiede, alle sitzen an verschiedenen Stellen im Raum, aber das Erlebnis ist für alle dasselbe, und alle kriegen denselben Inhalt und können ihn fortan untereinander austauschen. Das finde ich wahnsinnig wichtig und interessant. Mein Horror ist, dass es Politiker gibt, die dagegen sind und denken, es sollte was Elitäres sein. Es gibt nichts Schlimmeres, als Wissen und Kunst und Kultur elitär machen zu wollen.

Ostermayer: Und so ist es auch möglich, dass die Tochter eines Bergarbeiters Burgtheaterdirektorin wird ...

Peters: ... die dann auch noch Bergmann heißt.

(Lachen) (Interview: Lisa Nimmervoll, 20.6.2015)