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Trainingseinheit in einem Judostudio in Paris: In Frankreich gibt es Judovereine, die sich einen Trainer teilen. In Österreich beschränkt sich dieses Arbeitsmodell bis dato auf den Tourismussektor.

Foto: AP / Francois Mori

Wien – Einer für alle, alle für einen. So könnte bald einer der Wahlsprüche auf dem österreichischen Arbeitsmarkt lauten, wenn das Projekt, das in Niederösterreich 2014 initiiert wurde, weitere Kreise zieht. Dass es das tun wird, davon ist Alexander Szöllösy vom Verein Progressnetz – Netzwerk für regionale Entwicklung – überzeugt.

Szöllösy war Geburtshelfer des ersten Arbeitgeberzusammenschlusses (AGZ) in Österreich. Im Großraum St. Pölten haben sich bis dato zehn Unternehmen aus der Tourismusbranche und tourismusnahen Bereichen in die Plattform eingeklinkt – der letzte vorige Woche. Szöllösy sieht das Modell als "arbeitsmarktpolitische Chance, gerade in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit und prekärer Arbeitsverhältnisse," wie er dem STANDARD sagte.

Frankreich als Modell

In Frankreich sind erste "Groupements d'employeurs" schon Anfang der 1980er-Jahre entstanden; auch in Deutschland und Belgien wurden zahlreiche Arbeitgeberzusammenschlüsse auf den Weg gebracht. In Österreich, wo Arbeitslosigkeit bis vor kurzem noch kein großes Thema war, steht diese Form der Unternehmerkooperation erst am Anfang.

Das Prinzip, wie das Modell funktioniert, klingt einfach; der Teufel steckt aber wie so oft im Detail. Der Arbeitgeberzusammenschluss setzt ein gewisses Maß an Vertrauen voraus. Betriebe müssen bereit sein, über ihren Schatten zu springen und Mitarbeiter möglicherweise mit dem schärfsten Konkurrenzbetrieb teilen.

Dann wäre da noch die Bürokratie. Im Gegensatz zu Leiharbeitsfirmen arbeiten AGZs zwar nicht gewinnorientiert; dennoch fallen sie – zumindest in Österreich – unter das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz.

Gewerbeschein erforderlich

Der Leiter eines AGZs muss einen Gewerbeschein haben, der ihn als Arbeitskräfteüberlasser legitimiert. Sonst gibt es kein grünes Licht dafür.

Das Modell funktioniert so: Unternehmen, die sich aufgrund ihrer Kleinheit eine eigene Vollzeitfachkraft nicht leisten könnten, schließen sich zusammen und teilen sich eine. Dadurch schaffen die beteiligten Unternehmen neue, sozialversicherungsrechtlich begründete Jobs. Leistungen, die vorher nur durch Überstunden, Aushilfskräfte oder eben gar nicht erbracht werden konnten, werden so kontinuierlich durch fixangestellte Arbeitskräfte erwirtschaftet.

"Das ist eine Win-win-Situation für alle Beteiligten", sagte Szöllösy. "Die Arbeitgeber profitieren, weil sie Fachkräfte bekommen, die sie sonst nicht hätten; die Mitarbeiter gewinnen, indem sie vollzeit statt teilzeit arbeiten können; und die Region hat insofern etwas davon, als die drohende Landflucht wenn schon nicht gestoppt, dann gebremst werden kann."

Stift Melk hüpft es vor

Oder, wie am Beispiel des Stiftsrestaurants Melk ersichtlich: Der Saisonbetrieb, der von Mitte April bis Mitte Oktober geöffnet hat und bis zu 40 Mitarbeiter beschäftigt, erspart sich das Wiederanlernen von Mitarbeitern zu Beginn der neuen Saison.

Neben dem Küchenchef und dem Souschef wurde auch der Serviceleiterstellvertreter sowie eine Küchenhilfe über das AGZ organisiert, wie Geschäftsführer Gerhard Teufner erzählt. Wenn das Stiftsrestaurant Melk zusperrt, arbeiten die vier Personen im Cityhotel in St. Pölten, das im Sommer keine Saison hat. Teufner: "Wir ergänzen uns perfekt."

Am derzeit einzigen Pilotprojekt in Österreich nehmen neben dem Stiftsrestaurant Melk und dem Cityhotel St. Pölten unter anderem das Bowlingcenter NXP, die Café-Konditorei Pusch, das Cateringunternehmen Wutzl Gastro (alle St. Pölten), der Naturkosmetikhersteller Styx in Ober-Grafendorf und die Steinschaler Naturhotels in Rabenstein an der Pielach teil. Fünf Vollarbeitsstellen sind inzwischen entstanden, weitere zwei sollen in diesen Tagen dazukommen.

Sozialpartner im Boot

Szöllösy, der in Vorbereitung des ersten AGZs viele Gespräche mit interessierten Unternehmen geführt und mit einem Team die passenden selektiert hat, ortet nun auch Interesse in Tirol, im Burgenland und in Oberösterreich. Das AGZ St. Pölten ist vom Sozialministerium genehmigt, die Sozialpartner sind mit im Boot. Auch mit dem Arbeitsmarktservice sei man "in engem Kontakt," sagt Szöllösy.

In Frankreich, dem Vorreiterland, gibt es inzwischen etwa 5.000 AGZs, die in Summe rund 36.000 Menschen beschäftigen, und das beileibe nicht nur im Tourismus. So teilen sich etwa drei Judovereine einen Judotrainer. Die Palette an Einsatzmöglichkeiten reicht von Dienstleistern über Landwirtschaftsbetriebe, Industrieunternehmen bis zum Handel. (Günther Strobl, 23.6.2015)