Der Besitz kleinerer Mengen Cannabis soll straffrei werden" kündigte das Justizministerium im März 2015 an. Weder der Gesetzesentwurf des Ministeriums noch die jetzt im Parlament eingebrachte Regierungsvorlage löst dieses Versprechen ein. Auch in Hinkunft wird der Besitz jeder noch so geringen Menge Cannabis verboten sein. Es wird wie bisher in der Regel nur nicht zu einer gerichtlichen Verurteilung kommen.

Das österreichische Recht sieht bereits seit 1998 vor, dass der Staatsanwalt Cannabisdelinquenten auch ohne amtsärztliche Untersuchung nicht weiter verfolgt, sondern die Anzeigen "zurücklegt". Seit 2010 ist der Rücktritt von der Verfolgung wegen geringer Cannabisdelikte ohne Amtsarzt verpflichtend, außer es gab in den letzten fünf Jahren schon einmal Ermittlungen.

Entgegen diesem entspannten justiziellen Zugang drängten sich die Gesundheitsämter ("Sanitätspolizei") in den Vordergrund und drangsalierten User mit "Ladungsbescheiden" und "Harnkontrollen". Das geltende Recht sieht eine doppelte Behördenstruktur zur Ahndung von Cannabisdelikten vor. Die Gesundheitsämter haben eine eigene Kompetenz, Personen, die in jüngerer Vergangenheit auch nur ein einziges Mal Cannabis konsumiert haben, zur amtsärztlichen Untersuchung vorzuladen. Um diese Doppelgleisigkeit rankt sich ein "Wildwuchs" an gesundheitsbehördlichen Aktivitäten, die für die Betroffenen nicht durchschaubar sind.

So lässt z. B. das "Institut für Suchtdiagnostik", eine ausgelagerte Gesellschaft der Stadt Wien, die Vorgeladenen kryptisch wissen: "Wenn Sie unentschuldigt nicht kommen, kann der Magistrat oder das Gericht über Sie Geld- und/oder Haftstrafen verhängen." Nein, der Magistrat kann in einem solchen Falle weder eine Geld- noch eine Haftstrafe verhängen. Die BH Vöcklabruck lädt – rechtswidrig – mit Bescheid zur Harnkontrolle und will eine "Harngebühr" von 45 Euro kassieren.

Die Gesundheitsbehörden berufen sich auf "Helfen statt Strafen". Gewiss war vor Jahrzehnten eine "goldene Brücke" nötig, um der Entkriminalisierung auf die Sprünge zu helfen. Heute ist der Ansatz, dass jeder Cannabisuser präsumtiv suchtkrank und daher zum Amtsarzt vorzuladen ist, sagen wir einmal, "verschroben". Cannabisuser sind nicht kranker als das Gros jener Österreicher die mehr oder weniger "gute Tropfen" genießen. Sie bevorzugen die Wirkung des Krautes, weil es nicht aggressiv macht und ihnen besser bekommt als Alkohol.

Das Bewusstsein für Alkoholismus hat sich in Österreich in Anbetracht jährlich 10.000 kausaler Todesfälle, 300.000 Alkoholkranker und einer Million die eigene Gesundheit gefährdender Alkoholuser deutlich erweitert. Krankheitseinsicht des Alkoholikers ist Grundvoraussetzung einer sinnvollen Behandlung.

Eliot L. Gardner schätzt im Handbook of Cannabis den Prozentsatz an "Abhängigen" bei Cannabis auf acht bis zehn Prozent der Gebraucher. Wenn Österreich jeden Cannabisuser amtsärztlich untersuchen lässt, verschwendet es Ressourcen. Der Staat diskriminiert damit geschätzte zehn Prozent seiner Bevölkerung, die meist nur gelegentlich Cannabis konsumieren. Wo bleiben dann flächendeckende amtsärztliche Untersuchungen für Alkoholuser? Eben.

Die Regierungsvorlage betreibt ein bisschen Kosmetik bei Behördenabläufen, mehr nicht, abgesehen von einer formalen Schlechterstellung der User im Falle einer Verfahrensfortsetzung. Geringen Vereinfachungen beim Staatsanwalt (Anfrage an "Suchtmittelregister" entfällt) steht eine "Aufwertung" der Gesundheitsbehörden gegenüber: Die Kriminalpolizei soll die Fälle neuerdings an die Gesundheitsbehörden "abtreten". Das System wird verkompliziert. Die Parlamentskorrespondenz Nr. 666 vom 18. 6. 2015 verkündet, dass "der Besitz von Kleinstmengen für den Eigengebrauch nicht mehr bestraft wird", wenn "sich der Betroffene den notwendigen gesundheitsbezogenen Maßnahmen unterzieht". Das ist bitte seit 1998 geltendes Recht. Abgeordnete und Öffentlichkeit sollten nicht derart fehlinformiert werden.

Unser Staat ist permanent gefordert, die Sinnhaftigkeit seiner Aktivitäten zu überprüfen, um des Wachstumsgesetzes der Bürokratie einigermaßen Herr zu bleiben. Er muss in liebgewonnene tägliche Arbeitsabläufe seiner Mitarbeiter eingreifen und entschlossen Schreibtische beseitigen, wenn die darauf zu erledigende Arbeit nicht unbedingt nötig ist.

Überfällig ist die ersatzlose Beseitigung der gesundheitsbehördlichen Eigenkompetenz nach § 12 SMG zur zwangsweisen Vorladung jedes gelegentlichen Konsumenten illegalisierter Substanzen zum Amtsarzt. Es genügt, wenn der Staatsanwalt in Einzelfällen eine amtsärztliche Stellungnahme in Auftrag geben kann. Wer Hilfe sucht, dem stehen Beratungsstellen zur Verfügung. Zwangsbeglückung durch den Amtsarzt funktioniert nicht. Disziplinierung und Sanktionierung sollten nicht seine Aufgabe sein.(Gebhard Heinzle, 24.6.2015)