Was sich Barack Obama und François Hollande am Telefon gesagt haben, wird wohl nie bekannt werden – selbst wenn es russischen oder chinesischen Agenten gelungen sein sollte, die Leitung anzuzapfen. Aber es darf angenommen werden, dass der französische Präsident weniger empört war, als er nach außen glauben macht. Er weiß genau, dass er letztlich gleich handelt wie sein US-Amtskollege: Frankreichs neues Sicherheitsgesetz, das am Mittwoch beschlossen werden sollte, ermöglicht eine Massenüberwachung wie jene durch die amerikanische NSA.

Hollande behauptet, das alles diene nur der Terrorbekämpfung. Doch die Charlie-Attentate sind teils ein Vorwand, wie es vor vierzehn Jahren 9/11 für den "US Patriot Act" gewesen war. Die fünf permanenten Mitglieder des Uno-Sicherheitsrates betreiben mit ihren Geheimdiensten nicht nur Abwehr, sondern eine proaktive Spionagestrategie. Frei nach dem Motto: Wissen ist Macht.

Von einer Regierung wie der französischen zu erwarten, dass sie in Washington viel erreicht – oder dies nur versucht – , wäre daher illusorisch. Druck auf die Großmächte und ihre bürgerfeindlichen Praktiken kann nur von unten kommen, etwa über die sozialen Medien. Zum Glück gibt es Wikileaks. Hoffentlich fördert die Plattform, dieses Fass ohne Boden, weiter peinliche, weil ungeschönte Details aus dem Weißen Haus oder dem Élysée-Palast zutage. Ein langes Leben dem Wiki-Spion, und viel Nachwuchs! (Stefan Brändle, 24.6.2015)