Niedergeschrieben habe sie damals, im Frauenkollektiv, ihre eigenen Erfahrungen mit Lernen, ihre Gefühle, Empfindungen und Ängste. Schnell sei ihr dabei klar geworden, dass dies der Schlüssel ist, um das Lernen, um Sozialisationsprozesse besser zu verstehen. Das war in den 70er-Jahren.

Frigga Haug im Gespräch mit Bettina Dausien (rechts)
Foto: andy urban

Frigga Haug – deutsche Wissenschafterin, Feministin und Aktivistin – kann nicht anders, als zu den Anfängen der Erinnerungsarbeit zurückzugehen, wenn sie ihr Konzept einer Kritischen Pädagogik vorstellt. Dazu lud sie das Wiener Institut für Bildungswissenschaft im Rahmen der Eventreihe "Jour fixe Bildungstheorie" ein, bei der regelmäßig Vertreter aus Forschung und Praxis zusammenkommen.

Fügsame Junge

Mit Bettina Dausien, Professorin für Pädagogik, sprach Haug dort mit bestechendem Humor vom Erinnern als Lernfaktor, von der Fügsamkeit der Jungen (Zukunftsvorstellungen würden heute Reiseprospekten ähneln) und der Bedeutung des Hinterfragens. "Wenn wir nur wiedergeben, lernen wir nicht", mahnt sie.

Es sei wichtig, schon Gewusstes erst mal zu vergessen, zu verlernen, denn: Eingeübtes verhindere Aufbruch. "Was man weiß, aus Erfahrungen, aus Meinungen, aus Gerüchten, aus Gelesenem, verbindet sich mit der Person zu einer eigenen Festigkeit, die dem ausgreifenden Lernen entgegensteht."

Eine Methode, die sich dazu anbiete, sei der Terrainwechsel, der sowohl räumlich als auch ideell – durch die Stilformen Witz oder Satire – stattfinden kann. Er würde eine Distanz ermöglichen, die uns das Nachdenken erleichtert, so Haug. Um weiterzukommen, müsse der lernende Mensch stets Neues wagen.

Lehren statt Belehrung

Unmittelbar verbunden mit dem Verlernen von Gewohntem ist für Haug auch die permanente Reflexion.

Hierbei sollten wir nicht nur die Gesellschaft, sondern auch unsere eigene Position darin hinterfragen, sagt Haug – und verweist dabei auf den italienischen Philosophen Antonio Gramsci: Seiner Überlegung nach würden Menschen in gesellschaftlichen Bezügen leben, die sie zu dem machen, was sie sind. Das erzeuge Passivität. Die einzige Möglichkeit, aus dieser Passivität herauszukommen: "Erkenne das Durcheinander, lege dir ein Inventarverzeichnis davon an und akzeptiere es." Dabei entstehende Widersprüche gelte es nicht als Hindernis zu betrachten, sondern hinzunehmen – sie seien die Bewegungsform des Lernens: setzten einen ständigen Prozess in Gang.

Schließlich ist Frigga Haug, und da blitzt nicht zum einzigen Mal an diesem Abend ihre Biografie durch, auch ein großer Fan von Gruppen. Lernen könne nur im Kollektiv passieren, sei "ein Miteinander-Rekonstruieren": "Die vielfachen Verhärtungen, Widerstände brauchen die Gruppe und den Dialog, um Bewegung zu ermöglichen."

Konkurrenzen zu überwinden sei dafür zwingend.

Hierarchien schaden

Die Gemeinschaftlichkeit, die Haug beim Lernen empfiehlt, ist auch ihrem Konzept des Lehrens inhärent. Hierarchien werden dort bekämpft.

Gerade in Schulen und an Unis herrsche sie sehr häufig, diese dem Lernen abträgliche Stimmung von Über- und Unterlegenheit.

Statt als "Wissende" alle "Nichtwissenden" zu belehren, sollten Pädagogen vielmehr versuchen, den Alltagsverstand, die "Bauernschläue", zu gebrauchen. "Wir müssen diese Stammtischmentalität nutzen", ist Haug überzeugt.

Denn schließlich sei der Alltag, der Ort, an dem Vorurteile gehegt werden, der Ausgangspunkt jedes Lernens und Lehrens. Einer der "hervorragendsten Pädagogen", der das predigt, sei Bertolt Brecht.

Wie baue ich mich als Einzelne oder Einzelner in eine Gesellschaft ein? Was lerne ich dabei? Welche Weltsicht bekomme ich? Wie glücklich oder unglücklich bin ich damit?

Das sind Fragen, die Frigga Haug für wichtig hält – und die sich jeder Einzelne, jede Einzelne im lebenslangen Lernprozess notwendigerweise stellen müsse. "Es sei denn, die ganze Gesellschaft dankt ab und zieht auf eine Insel." Und das wird wohl, zumindest in absehbarer Zeit, nicht passieren. (Lisa Breit, 30.6.2015)