Athen/Brüssel – Nach dem Scheitern der Schuldengespräche zwischen Griechenland und den Gläubigern läuft um Mitternacht das Hilfsprogramm aus. Zudem steht eine Zahlung von 1,6 Mrd. Euro an den IWF an. Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras zieht laut einem Bericht der Zeitung "Kathimerini" den jüngsten Vorschlag von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker nun doch in Betracht.

Juncker hatte am Montag gesagt, die Beteiligten steckten nicht "endgültig in einer Sackgasse". Der Kommissionschef habe Tsipras telefonisch einen möglichen Ablauf für eine Lösung erläutert. Falls der griechische Premier noch am Dienstag das Angebot der Geldgeber für ein Sparpaket annehme und für ein "Ja" beim Referendum werbe, könnte der Weg für ein weiteres Euro-Finanzministertreffen geebnet werden, hieß es in EU-Kreisen. Juncker hatte in letzter Minute noch ein Entgegenkommen bei den Pensionen und den Staatsschulden angedeutet.

Griechenland wird die am Dienstag fälligen Juni-Raten an den Internationalen Währungsfonds (IWF) indessen nicht zahlen. Das bestätigte Ministerpräsident Alexis Tsipras am Montagabend in einem Interview mit dem griechischen Staatsfernsehen ERT. Die Zahlung werde nicht erfolgen, wenn es nicht über Nacht noch eine Einigung mit den internationalen Gläubigern gebe.

Kaum Konsequenzen

Griechenland sollte an diesem Dienstag eine fällige Rate von knapp 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen. Der IWF hatte Athen bereits zugestanden, früher fällige Beträge gebündelt am Ende des Monats zurückzuzahlen. Der IWF in Washington wollte den Ausfall am Montagabend nicht kommentieren.

Bis Dienstag Mitternacht Washingtoner Zeit (Mittwoch 06.00 MESZ) müsste Griechenland dem Internationalen Währungsfonds (IWF) 1,54 Mrd. Euro überweisen. Sollte das Geld nicht eingehen, wäre Griechenland das erste entwickelte Land, das seine IWF-Schulden nicht pünktlich zahlt. Viel tun dagegen kann IWF-Chefin Christine Lagarde nicht. "Der IWF hat keine Sanktionsmöglichkeiten für einen solchen Fall", heißt es.

Reaktion des IWF: "Eher früher als später"

Sollte Griechenland tatsächlich nicht zahlen, muss Lagarde zunächst das Führungsgremium ihrer Organisation unterrichten und den offiziellen Zahlungsrückstand feststellen. Allerdings brauche Lagarde nicht sofort zu handeln, wie der IWF-Europaexperte Bruno Silvestre betont. "Sie hat dazu bis zu einem Monat Zeit. Wann sie das tut, hängt ganz von ihr ab." Doch werde dies vermutlich "eher früher als später geschehen".

Dies könnte nach Ansicht von Finanzexperten in Washington bedeuten, dass der IWF zunächst das Ergebnis des griechischen Referendums am 5. Juli abwarten wolle. Lagarde selbst hatte bereits deutlich gemacht, dass die Tür für weitere Gespräche mit Athen noch nicht vollständig zugeschlagen sei.

Ist der Zahlungsrückstand offiziell festgestellt, bedeutet dies zunächst "lediglich", dass der IWF der Regierung in Athen keine weitere Kredite mehr gewähren darf. Unklar ist, wie die internationalen Ratingagenturen darauf reagieren werden.

Bisher haben lediglich drei Länder IWF-Kredite nicht zurückgezahlt: Somalia, Sudan und Simbabwe. Säumige Zahler gab es dagegen öfter, etwa Argentinien und Peru.

"Werden nicht diejenigen sein, die sie ausführen"

Die linksgerichtete Regierung in Griechenland wird bei der anstehenden Volksabstimmung nach den Worten von Tsipras ein Ja der Bevölkerung zu den Sparauflagen der internationalen Gläubiger respektieren. "Wir werden aber nicht diejenigen sein, die sie ausführen", sagte Tsipras. Er stehe bereit, die Verhandlungen mit den Europäern wiederaufzunehmen. Sollten sie am Montag ein Angebot unterbreiten, werde Griechenland seine am Dienstag anstehenden Zahlungsverpflichtungen erfüllen. "Mein Telefon ist den ganzen Tag an. Wer immer auch anruft, ich hebe immer ab."

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Tsipras während des Interviews am Montagabend.
Foto: AP Photo/Thanassis Stavrakis

Im griechischen Fernsehen forderte er seine Landsleute auf, bei dem Referendum den Spar- und Reformforderungen der internationalen Gläubiger eine Absage zu erteilen. Je stärker das Nein ausfalle, desto stärker werde die Position Griechenlands in darauffolgenden Verhandlungen sein.

Tsipras: "Bin nicht unter allen Umständen Ministerpräsident"

Tsipras kündigte in dem TV-Interview zudem an, seine politische Zukunft mit dem Ausgang der Volksabstimmung am kommenden Sonntag zu verbinden. Wenn bei dem Referendum über die Forderungen der internationalen Geldgeber am Sonntag ein Ja herauskomme, "bin ich nicht unter allen Umständen Ministerpräsident", sagte Tsipras. Details über das weitere Vorgehen nach der Abstimmung nannte er allerdings nicht. Er sagte lediglich: "Ziel der Volksabstimmung ist die Fortsetzung der Verhandlungen."

Tsipras hatte am Wochenende für diesen Sonntag (5. 7.) überraschend eine Volksabstimmung über die Reformvorschläge der Gläubiger Griechenlands angekündigt. Daraufhin scheiterten am Samstag die Verhandlungen der Euro-Finanzminister mit Athen. Europas Spitzenpolitiker appellieren an die Griechen, mit Ja zu stimmen.

"Ein Nein würde ein Nein zu Europa heißen", sagt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
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Finanzminister Varoufakis will rechtlich gegen "Grexit" vorgehen

Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat laut einem Zeitungsbericht angedroht, gegebenenfalls juristisch gegen ein Ausscheiden seines Landes aus der Eurozone vorzugehen. "Die griechische Regierung wird von all ihren Rechten Gebrauch machen", zitierte die britische Zeitung "The Daily Telegraph" am Montag den griechischen Minister.

Die Regierung in Athen lasse sich beraten und werde "sicherlich eine gerichtliche Verfügung des Europäischen Gerichtshofs erwägen". "Die EU-Verträge machen keine Vorgaben für einen Euro-Austritt, und wir lehnen es ab, ihn hinzunehmen", machte Varoufakis deutlich.

"Unsere Mitgliedschaft ist nicht verhandelbar", kommentierte der Finanzminister Spekulationen über einen Grexit. Bisher ist noch kein Euroland aus der Währungsunion ausgeschieden. Griechenlands akute Finanzkrise und der Streit mit seinen internationalen Gläubigern verstärken allerdings Befürchtungen, dass das Land aus der Eurozone ausscheiden könnte.

Juncker und Merkel geben sich gesprächsbereit

"Ein Nein (bei dem anstehenden griechischen Referendum, Anm.) würde ein Nein zu Europa heißen", sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in Brüssel. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versicherte, man werde sich weiteren Verhandlungen nicht verschließen, wenn Athen nach der Volksabstimmung darum bitten sollte: "Wenn jemand mit uns sprechen möchte, sind wir jederzeit bereit zu sprechen."

Athen ist mit der Bitte um Verlängerung des auslaufenden Hilfsprogramms bei der EU auf taube Ohren gestoßen. Die Staats- und Regierungschefs seien gegen die Verlängerung des am Dienstag endenden Programms, schrieb Gipfelchef Donald Tusk an Tsipras, wie in Brüssel bestätigt wurde. Die Finanzminister der Eurostaaten hatten eine solche Verlängerung bereits am Samstag zurückgewiesen. Tusk wies jedoch darauf hin, dass Griechenland neue Hilfen beantragen könne.

EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Cœuré schließt ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro nicht mehr aus. Dies sei möglich, wenn auch nicht das, was die Europäische Zentralbank (EZB) wolle, sagte Cœuré in einem am Montagabend veröffentlichten Interview der französischen Zeitung "Les Echos". Es ist das bislang deutlichste Eingeständnis eines führenden EZB-Vertreters, dass der sogenannte Grexit möglich sei.

Tausende demonstrierten in Athen

In Griechenland haben am Montag tausende Menschen für ein Nein beim Referendum über die Vorschläge der internationalen Geldgeber demonstriert. "Nein zur Erpressung der Troika", "Nein zu den Memoranden" und "Unsere Leben gehören nicht den Gläubigern" hieß es auf Transparenten bei der Demonstration auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlament in Athen. Nach Angaben der Polizei waren es 13.000 Demonstranten in Athen. In anderen Quellen war von mindestens 20.000 Protestierenden die Rede.

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Demonstration am Montag in Athen.
Foto: REUTERS/Marko Djurica

Auf anderen Transparenten in Athen wurden auf Englisch Haftstrafen für die Eurobanker gefordert und zum Zusammenhalt der Völker Europas aufgerufen. "Die Schulden sind nicht tragbar, das griechische Volk hat viele Opfer gebracht", sagte Vanguelis Tseres, der arbeitslos ist, seitdem er 2010 sein Verlagshaus schließen musste. "Was mich interessiert, ist nicht der Euro, sondern künftigen Generationen die Möglichkeit zu sichern, ein Leben in Würde zu führen." Die Lehrerin Eleni Georgouli sagte, die meisten Demonstranten seien für den Euro, aber "nicht um jeden Preis".

S&P stuft Griechenland herab

Die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) hat die Kreditwürdigkeit Griechenlands nach der Ankündigung eines Referendums weiter herabgestuft. Die US-Agentur senkte die Bonität des Landes am Montag von "CCC" auf "CCC–", was einer Stufe vor dem kompletten Zahlungsausfall entspricht. Auch die Ratingagentur Fitch stufte eine Reihe griechischer Banken herab auf die Ratingstufe "RD" (Restricted default). (APA, red, 30.6.2015)