Evelyne Mann-Selberherr untersucht, wie Bakterien im Schweinedarm überleben.

Foto: Martin Bobal

Manche Leser mögen es gruselig finden, dass auf und in Säugetieren Millionen Bakterien leben. Die Medizin hat dieser Tatsache bereits eine wichtige Rolle zugeschrieben. Es hat großen Einfluss auf die Gesundheit, wie das Mikrobiom, die auf der Haut oder im Darm lebenden Bakteriengemeinschaften, zusammengesetzt ist. Evelyne Mann-Selberherr, Postdoc an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, versucht, mehr über die Bakterien-WGs in Schweinen herauszufinden.

Für die Probenentnahme braucht sie ein Fass mit flüssigem Stickstoff, Latexhandschuhe, Pinzette, Skalpell. Noch im Schlachthof öffnet sie frisches Schweinegedärm und nimmt Gewebeproben aus verschiedenen Abschnitten und den benachbarten Lymphknoten, um herausfinden: Wer lebt im Schweinedarm, wie interagiert das offene System des Verdauungstrakts mit der Immunabwehr, und welche Mechanismen haben (krankheitserregende) Bakterien im Einsatz, wenn sie sich in der großteils wohlgesinnten Wohngemeinschaft durchsetzen?

Ihre Erkenntnisse dienen der Grundlagenforschung ebenso wie der Fütterung und Haltung von Nutztieren. So konnte sie in einer Studie etwa die Schutzwirkung von Monocalciumphosphat auf Ferkel, die von der Muttersau abgesetzt werden, nachweisen. Den Verdauungstrakt beschreibt Mann-Selberherr als Wohnheim mit vielbeschäftigtem Hausmeister: Die Tür steht immer offen, laufend kommen neue Bewohner, und mittels Zimmerkontrollen muss die Immunabwehr den Überblick behalten und/oder einen Rauswurf einleiten. Die Frage nach den Namen der Mitbewohner darf mit rund 1000 nachgewiesenen Bakterienspezies im Schweinedarm als beantwortet gelten.

Nun widmet sie sich jenen 650 bakteriellen Spezies, die aktiv oder passiv den Weg in die Darmlymphknoten gefunden haben. Überraschend für die Fachwelt war neben der hohen bakteriellen Diversität in diesem Teil der Immunabwehr die Tatsache, dass ungefähr ein Sechstel der Bakterien quasi in der Portiersloge der WG metabolisch aktiv bleibt. Wie lange diese durchhalten und welche Überlebensstrategien diese Bakterien nutzen, will Evelyne Mann-Selberherr als Nächstes herausfinden.

Ihre Mikrobiom-Forschung geht bereits ins fünfte Jahr, doch die Faszination für Wissenschaft reicht noch weiter zurück. So streifte sie schon mit sechs Jahren durch die Tullner Auen (NÖ) und sammelte Zecken, Blattläuse und anderes Getier, um sie unter das Mikroskop zu legen.

Nach dreifach ausgezeichneter Dissertation und Abschluss summa cum laude (2014) erforschte sie ein halbes Jahr an der University of Arizona ein Bakterium (Cardinium hertigii), das in einer Schlupfwespe lebt und zum eigenen Vorteil in deren Fortpflanzung eingreift. "Faszinierend ist die Vielfalt der Stoffwechselvorgänge der mikroskopisch kleinen Organismen, die die Evolution von Anfang an mitbeeinflusst haben", erklärt die 30-jährige Forscherin.

Neben der mikrobiellen Ökologie hat die verheiratete Veterinärmedizinerin eine zweite Leidenschaft: die Musik. Den Ausgleich zur Forschung findet sie beim Spiel auf immerhin vier Instrumenten: Gitarre, Querflöte, Saxofon und Mandoline. (Astrid Kuffner, 1.7.2015)