Die Stunde der Entscheidung naht: Ist allen Beteiligten an den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm ein Abkommen so wichtig, dass sie in der elften Stunde jene Kompromisse finden, die noch in die vom jeweils anderen gezeichneten "roten Linien" passen? Was geschieht, wenn es nicht gelingt – und was, wenn es gelingt? Ist die Frage, ob der Iran ein Atomwaffenkandidat ist, nur ein Jahrzehnt aufgeschoben, oder könnte das tatsächlich der Beginn eines Prozesses sein, der zu einem tiefgreifenden strategischen Wandel im Nahen Osten führt?

Der Weg, der zurückgelegt wurde, seit im Iran Hassan Rohani Präsident ist, war weit. Es ist nicht mit Gewissheit zu sagen, welche Folgen für den Fall zu erwarten sind, dass die letzten Meter nicht bewältigt werden: Kehrt alles zum eisigen und gefährlichen Status quo ante zurück? Oder werden die vielen Stunden, die ein amerikanischer und ein iranischer Außenminister an einem Tisch gesessen sind, zumindest die Lektion hinterlassen, dass man miteinander reden kann?

Eines ist sicher: Beide Seiten wollen diesen Deal, aber vor allem wollen sie nicht, dass die Früchte des Verhandlungsprozesses – eineinhalb Jahre reduziertes iranisches Urananreicherungsprogramm auf der einen Seite, Sanktionserleichterungen und internationale Anerkennung auf der anderen – verlorengehen. Außer den Hardlinern auf beiden Seiten und jenen außerhalb, die aus prinzipiellen Gründen nicht an Verhandlungen mit der Islamischen Republik glauben, hat niemand ein Interesse an einem Zusammenbruch des Prozesses.

Für den Iran erscheint der Schritt viel größer, die inneren Implikationen gravierender. Die iranische Führung kann noch so sehr betonen, dass es "nur" um einen Atomdeal und nicht um eine politische Neuausrichtung geht. Nicht nur die wirtschaftlichen Profiteure der jetzigen Situation, auch jene, die die ungebrochene Gegnerschaft zu den USA zum unverzichtbaren ideologischen Erbe der Islamischen Revolution von 1979 zählen, haben Verlustängste. Dass der Iran immer wieder in der Geschichte pragmatisch agierte (zum Beispiel in den 1980er-Jahren, als er sich im Krieg gegen den Irak auch von Israel helfen ließ), ist die eine Sache. Gleichzeitig hat es aber immer auch Trends gegeben, die Realpolitik mit Verrat gleichsetzen.

Für die internationalen Verhandler gibt es diese ideologischen Probleme nicht: Wann hätte es die USA je gestört, mit Islamisten zusammenzuarbeiten? Fast die gesamte Kalter-Krieg-Strategie der USA im Nahen Osten basierte auf solchen Allianzen. Aber die Neuorientierung, die eine Normalisierung mit dem Iran bedeuten würde, ist dennoch einschneidend, wie man an den Reaktionen Israels und der arabischen sunnitischen Golfstaaten sieht.

Die Optionen für die USA und die EU, falls der Iran noch im letzten Moment kneift, sind keineswegs vielfältig: ein neuer Krieg – Militärschläge gegen Atomanlagen könnten dazu führen –, in dessen Schatten der "Islamische Staat" weitermarschieren könnte? Aber da sind ja noch die Sanktionen. Die haben jedoch eher ihren Zenit erreicht: Auch wenn sie vom Westen aufrechterhalten und verschärft würden, könnte es passieren, dass andere Staaten nicht mehr mitziehen, die dem Iran guten Willen bei den Verhandlungen attestieren. Und die USA verhandeln ja zuletzt auch deswegen, weil sie den Iran nicht anderen – Stichwort China – überlassen wollen. (Gudrun Harrer, 1.7.2015)