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Ein Mitarbeiter der griechischen Nationalbank wird von Pensionisten bedrängt.

Foto: EPA/YANNIS KOLESIDIS

Wenn politisches Kapital ein Goldbarren ist, dann schmilzt es jetzt dahin wie ein Stück Butter. So groß ist die Wut. "Tsipras hat unsere Würde geraubt!", rufen die Pensionisten. Überall hört man diesen Ausspruch vor den Banken in Athen. Gut an die hundert Menschen warten schon am Morgen vor den Türen, und als die Sicherheitsschleusen erstmals aufgehen und Bankangestellte herauskommen und versuchen, zu erklären, wie das nun mit der Auszahlung der Pensionen vorangehen soll, da bricht ein Sturm los. Grauhaarige Männer schieben sich gegenseitig von der Stelle, Frauen nehmen ihre Ellenbogen zu Hilfe und quetschen sich zum Eingang vor. "In meinem ganzen Leben habe ich so etwas nicht erlebt", sagt eine Griechin. "Für 120 Euro muss ich das mitmachen."

Der erste Tag der Pensionszahlungen im Griechenland wird zu einem Debakel für die Regierung. Zwei Millionen Pensionisten muss sie bezahlen, mitten im finanziellen Notstand, politisch isoliert in Europa. Sie will es auf Raten versuchen: 120 Euro diese Woche, danach wird man sehen. In der Nacht auf Mittwoch hat das Finanzministerium noch schnell die Regeln geändert. Jetzt soll es alphabetisch gehen, verteilt über drei Tage: Am Mittwoch sind die Familiennamen von A bis I dran, am Donnerstag von K bis M, am Freitag von N bis Omega, dem letzten Buchstaben im Alphabet. Doch vor der Filiale der Alphabank in der Panepistimou-Straße im Zentrum von Athen stehen die Pensionisten so, wie sie eben gekommen sind. Gegen zehn Uhr vormittags, nach zwei Stunden Streit und Chaos, geben die Angestellten auf. Die alphabetische Ordnung gilt nicht mehr. Bezahlt wird nun nach der Reihe.

Mittags ist der Spuk vorbei. Doch der Zorn bleibt. Dabei sind die Pensionisten ein großer Teil der Wählerschaft von Syriza. Sie haben dazu beigetragen, dass der Wahlsieg der radikalen Linken vor fünf Monaten möglich wurde. Tsipras hat versprochen, die Pensionen gegen weitere Kürzungen zu verteidigen. Das hat er auch gehalten. Selbst um den Preis des Bruchs mit Europa und der Eurozone.

Countdown läuft

Als die Pensionisten wieder nach Hause gehen, hängen an den Lampenpfosten schon die Plakate von Syriza für das Referendum am Sonntag. "Nein", steht dort in großen Lettern und "Für die Demokratie und die Würde". Eine neue Webseite hat das Presseamt der Regierung ins Internet gestellt, auf der eine Uhr die Zeit bis zum Beginn der Abstimmung zählt. Die Griechen können dort auch studieren, wozu sie eigentlich Nein sagen sollen: zwei Dokumenten der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität mit neuen Spar- und Steuervorgaben der Kreditgeber. Das allein reicht schon für ein Nein, glaubt die Regierung. Doch die Umfragen sagen etwas anderes.

57 Prozent der Wähler waren vor der Einführung der Kapitalkontrollen am Montag entschlossen, Nein zum Angebot der Kreditgeber zu sagen. 46 Prozent waren es, nachdem die Regierung die Banken zusperren ließ und ein Limit von gerade einmal 60 Euro am Tag an den Geldautomaten festlegte. Nach dem ersten Chaostag mit den Pensionen wird das Lager der Nein-Sager wohl weiter schrumpfen.

Referendum oder lieber kein Referendum? Diese Frage fliegt am Kabinettstisch hin und her. In der Regierung gibt es Streit, so berichten die griechischen Medien. Viele wichtige Minister wollten weder den Abbruch der Verhandlungen mit den Gläubigern noch das Referendum, heißt es.

Doch am späten Nachmittag, mit mehreren Stunden Verzögerung, tritt Tsipras dann erneut vor die Kameras. Er habe niemals erwartet, dass das demokratische Europa den Griechen nicht genug Zeit gebe, beklagt er sich. Es wird eine neue Verteidigungsrede für das Referendum vor der geprüften Nation.

Griechenland habe von den Kreditgebern bereits bessere Bedingungen erhalten, seit die Volksabstimmung angesetzt sei, erklärt der Premier. Ein Nein am Sonntag, so argumentiert Tsipras, ziele auf ein besseres Abkommen. (Markus Bernath aus Athen, 2.7.2015)