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Angela Merkel hat mit der harten Haltung Berlins nicht nur Alexis Tsipras, sondern auch François Hollande gegen sich aufgebracht.

Foto: Reuters/Lenoir

Die Nacht zuvor in der Eurogruppe der Finanzminister ist so desaströs verlaufen, dass Angela Merkel und François Hollande schon am Morgen zum Hörer greifen müssen. Ein französischer EU-Diplomat bestätigt am Sonntagmittag, dass sein Präsident und die Kanzlerin länger miteinander gesprochen haben, damit es doch noch eine Lösung für Griechenland in der Eurozone geben könnte. "Wir können jetzt hoffen, dass Deutschland und Frankreich auf höchster Ebene einen Kompromiss erzielen werden", dem dann alle folgen sollen, so der Verhandler aus Paris.

Zu diesem Zeitpunkt sieht es danach aber gar nicht aus. Unversöhnlich stehen sich zwei Lager gegenüber – angeführt von Deutschland und Frankreich. Paris will die Griechen auf jeden Fall im Euro halten – entsprechend würdigte Hollande die Pläne schon am Freitag als "seriös" und "glaubwürdig".

Umso entsetzter ist die französische Seite gewesen, als am Rande der Sitzung am Samstag ein Papier aus dem deutschen Finanzministerium das Licht der Öffentlichkeit erblickt, in dem die Athener Vorschläge "nicht als Basis für ein komplett neues Hilfsprogramm" angesehen werden. Vielmehr sehen Wolfgang Schäubles Pläne überhaupt nur noch zwei Lösungsmöglichkeiten, die es in ihrer Radikalität beide in sich haben. "Das Papier ist in der Sitzung kein Thema gewesen", berichtet ein französischer EU-Diplomat verärgert, "und ich hoffe, dass es im Verlauf des Tages auch noch vom Stuhl fällt."

Sollten die Verhandlungen über ein neues Hilfspaket mit einem Umfang von knapp 80 Milliarden Euro scheitern, empfiehlt Schäubles Truppe den Griechen eine "Auszeit vom Euro" für mindestens fünf Jahre. In dieser Zeit könne es auch einen Schuldenschnitt geben, der nach Berliner Lesart der EU-Verträge für Euroländer verboten, für Nichtmitglieder im sogenannten Pariser Club jedoch möglich ist.

Garantien gefordert

Konkret verhandelt wurde über Schäubles erste Option, die neue Kredite an eine Überwachung knüpft, gegen die die frühere Troika von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds wie der Betreuer einer Jugendfreizeit wirkt. Nicht nur soll die Athener Regierung schon am Montag "signifikant" erweiterte Vorschläge vom heimischen Parlament absegnen lassen. Sie soll laut dem Papier auch eine milliardenschwere Garantie bieten, dass die zugesagten Reformen auch umgesetzt werden – staatliche Vermögenswerte im Wert von 50 Milliarden Euro sollten an einen Fonds in Luxemburg übertragen werden, die dann Stück für Stück privatisiert würden, um griechischen Schulden abzubauen.

Da bleibt selbst einem Vertreter der Deutschen Bank die Spucke weg: Aus dem Plan spreche jenes, so Nicolaus Heinen, "paternalistische Verständnis der Europapolitik", mit dem Deutschland schon in den letzten Jahren für böses Blut gesorgt habe. Der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer spricht von einer "absichtsvollen Zerstörung des Europa, das wir bisher aufbauen wollten". Ein Beobachter der Finanzministersitzung konstatiert: "Die Hürden für Griechenland wurden im Laufe des Abends immer höher gelegt, dass man schon den Eindruck bekommen konnte, dass manche Länder einfach keine Einigung wollen."

Deutschland ist im Skeptiker-Lager nicht allein: Der slowakische Minister Peter Kazimir sagt am Sonntagmorgen, dass es "nicht mehr möglich ist, heute zu einer Lösung zu kommen". Und aus der finnischen Delegation ist zu hören, dass die rechtspopulistischen "Wahren Finnen", in Helsinki mit an der Regierung, im Falle weiterer Kredite für Athen die Koalition platzen lassen wollen. Minister Alexander Stubb stellt fest, dass man "sehr weit von einer Einigung entfernt" sei – was im Umkehrschluss "Grexit" heißt. Hans Jörg Schelling stellt klar, dass es frisches Geld nur gibt, wenn die Reformen vorher im griechischen Parlament beschlossen werden.

Deutschland unter Druck

Griechenland zur Seite stehen hingegen neben Frankreich auch Italien und Luxemburg. "Einen europäischen Partner zu demütigen, obwohl Griechenland fast alles aufgegeben hat, ist unvorstellbar", wird Italiens Premier Matteo Renzi von der Zeitung Il Messagero zitiert: "Genug ist genug." Für den Luxemburger Außenminister und EU-Veteranen Jean Asselborn steht deshalb an diesem Sonntag nicht weniger als die deutsch-französische Zusammenarbeit und die Zukunft Europas insgesamt auf dem Spiel. "Wenn Deutschland es auf einen Grexit anlegt, provoziert es einen tiefgreifenden Konflikt mit Frankreich", sagt er der Süddeutschen Zeitung. Dies "wäre eine Katastrophe für Europa". Merkel steht somit vor der Wahl: Folgt sie Hollande, könnte der innenpolitische Preis sehr hoch sein. Folgt sie Schäuble, wäre der europapolitische Preis sehr hoch.

Jedenfalls geht es um viel Geld: 74 bis 78 Milliarden Euro – je nach Darstellung von EU-Kommission und EZB respektive Währungsfonds – benötigt Athen von August bis Ende 2018. Allein 25 Milliarden davon brauchen die Banken. Dazu kommt eine Brückenfinanzierung von rund acht Milliarden bis August. (Christopher Ziedler aus Brüssel, 12.7.2015)