Nur wenige Jahre genügten, um zur Ikone einer Generation zu werden: Amy Winehouse bei einem ihrer nicht exzessiven Auftritte.

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Brite indischer Abstammung: Regisseur Asif Kapadia.

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Trailer zum Film.

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Wien – Für sein Porträt über Amy Winehouse konnte der Dokumentarfilmemacher Asif Kapadia auf bisher unveröffentlichtes Archivmaterial und Konzertmitschnitte zurückgreifen. Daneben gewährt Amy Einblicke in persönliche Videos und Interviews mit Familienangehörigen und Freunden der 2011 im Alter von nur 27 Jahren verstorbenen Soulsängerin.

STANDARD: Wie hat sich Ihr Bild von Amy Winehouse durch Ihren Film über sie verändert?

Kapadia: Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich sie nie live gesehen und sie nie getroffen habe. Ich höre zwar viel Musik, war aber nicht ihr größter Fan. Anfangs fühlte ich mich ihr eher dadurch verbunden, dass sie wie ich aus dem Norden Londons kam. Wir sind gar nicht so weit voneinander aufgewachsen. Überrascht hat mich, wie lustig und intelligent Amy war. Wer hätte gedacht, dass sie in jungen Jahren so ein komödiantisches Talent besaß? Außerdem wusste ich vorher gar nicht, dass sie ihre Songs selber geschrieben hat.

STANDARD: Mich hat überrascht, dass sie schon als Jugendliche zu Jazzplatten von Thelonious Monk gesungen hat.

Kapadia: Das war das Ungewöhnliche an ihr: Sie war wie eine erwachsene schwarze Frau, die im Körper eines jüdischen Mädchens steckte.

STANDARD: Sie haben "Amy" mit einem Bollywoodfilm verglichen. Können Sie das näher erklären?

Kapadia: Viele verstehen nicht, dass in Bollywoodfilmen die Songs das Wichtigste sind. Sie erzählen die Geschichte. Die Liedtexte sagen dir, was wirklich passiert. Im Westen wird gerne über diese Songs gelacht oder sie werden sogar rausgeschnitten. Als ich mit Amy angefangen habe, war mir sofort klar, dass ich den Film um ihre Songs herum aufbauen muss. Es steckt alles in ihnen. Mit ihrer Hilfe erzählt sie ihr ganzes Leben wie in einem Tagebuch. Eigentlich hätte ich gar nicht mehr mit anderen Leuten über sie sprechen müssen. Der Song Back to Black zum Beispiel: Man versteht, über wen sie singt und wie sie leidet, sie hat den Schmerz aber in etwas Schönes verwandelt, um mit ihm umgehen zu können. Gute Bollywoodfilme funktionieren ähnlich. Amy ist also ein Musical: Die Songs sind das Rückgrat, der Rest – die Bilder, die Interviews – musste um die Songs und die Texte herum gebaut werden.

STANDARD: Wie haben Sie es geschafft, dass Amys Familie und ihr Umfeld mit Ihnen gesprochen haben? Viele haben ja eine nicht gerade rühmliche Rolle in ihrem Leben gespielt.

Kapadia: Man muss einfach ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Ich glaube, unterbewusst haben viele sogar gehofft und darauf gewartet, dass jemand kommt und sie fragt, was wirklich passiert ist.

STANDARD: Amys Familie hat sich mittlerweile vom fertigen Film distanziert. War das zu erwarten?

Kapadia: Ich weiß nicht. Mir ging es ja nicht nur darum, die Familie zu befragen: Ich wollte auch jenen eine Stimme geben, die kein Buch über sie geschrieben haben, die nicht im Fernsehen aufgetreten sind oder sonst wie ihre Geschichte verkauft haben. Die Privataufnahmen, die ich bekommen habe, schienen ihre Sicht zu bestätigen.

STANDARD: Hatten Sie das Recht auf den Final Cut?

Kapadia: Sicher. Mein voriger Film Senna war ein großer Erfolg, warum hätte ich mich mit weniger Kontrolle zufriedengeben sollen? Außerdem: Ich gehe in so ein Projekt nicht mit einer Agenda rein. Ich bin nicht im Musikbusiness. Ich spreche mit allen, schaue mir das gesamte Material an – und mache dann den Film so wahrhaftig wie möglich.

STANDARD: Wie bei "Senna" zeigen Sie Ihre Interviewpartner nicht, man hört sie nur aus dem Off.

Kapadia: Es gibt viele Regisseure, die tolle Filme mit Talking Heads drehen, aber das ist nicht mein Ding. Das ist eher etwas fürs Fernsehen. Kinofilme sollten ihre Geschichten visuell erzählen. Ich finde auch das Radio als Medium interessant, meine Dokumentarfilme haben gewisse Ähnlichkeiten: Wenn man Bild und Ton trennt, befeuert das die Imagination.

STANDARD: Hat Ihre Technik auch den Vorteil, dass die Interviewpartner offener sind, wenn keine Kamera auf sie gerichtet ist?

Kapadia: Auf jeden Fall. Mit einer Kamera vor der Nase wären sie nicht so ehrlich. Ich habe meine Interviewpartner in einem weitgehend abgedunkelten Zimmer getroffen. So werden sie nicht nach ihrem Aussehen beurteilt. Jeder ist gleich – und doch kann man viele Nuancen aus den Stimmen heraushören.

STANDARD: Auf der Bildebene besteht Ihr Film nur aus Archivmaterial und Privataufnahmen aus Amys Umfeld. Wie hat sich dieses Material unterschieden von dem Ihres vorherigen Films über Ayrton Senna?

Kapadia: Senna wurde wie ein Gott verehrt. Am Ende seiner Karriere begleiteten ihn ständig 15 Kameras. Und im Sport, besonders in der Formel 1, arbeiten die besten Kameraleute der Welt. Amy wurde dagegen überwiegend von ganz normalen Leuten mit schlechten Digitalkameras aufgenommen, die nie eine richtige Filmkamera in der Hand gehalten haben. Das sieht dann oftmals richtig mies aus. Aber der große Vorteil ist: Es ist ein sehr authentisches Material. Man muss einfach mutig genug sein, der Realität zu folgen und sich keine Sorgen zu machen. Wichtig sind die Emotionen, die vermittelt werden.

STANDARD: Amy Winehouse gehörte zu den ersten Popstars der Social-Media-Generation. Was hat sich dadurch verändert?

Kapadia: Wenn sie ein schlechtes Konzert gespielt hat, konnte das jeder weltweit sofort im Internet sehen, teilen und kommentieren. Das erzeugt einen enormen Druck. Als die Rolling Stones angefangen haben, hat so etwas niemand mitbekommen, außer denjenigen, die anwesend waren.

STANDARD: Glauben Sie, dass Amy Winehouse in 30 Jahren noch berühmt sein wird?

Kapadia: Ich denke schon. Gute Musik ist zeitlos. Ihre Musik klang ja schon in dem Moment, in dem sie gemacht wurde, als sei sie 50 Jahre alt. (Sven von Reden, 14.7.2015)