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Eine Einbahnstraße ungewisser Länge: der Maßnahmenvollzug.

Foto: apa/fohringer

Wien – Einbahnstraße in die Hölle: So beschreiben Betroffene den sogenannten Maßnahmenvollzug – also die Unterbringung sogenannter geistig abnormer Rechtsbrecher. Straftäter, die als schwer psychisch krank oder als unzurechnungsfähig eingestuft wurden, werden meist im Anschluss an eine Haftstrafe jahrelang in einer Justizanstalt "verwahrt".

Im Vorjahr hatte Justizminister Wolfgang Brandstetter Reformen angekündigt. Der Gedanke: Kranke brauchen Behandlung, kein Gefängnis. Nur besonders schwere Fälle sollen in Haft mit hohen Sicherheitsstandards bleiben. Bis die gesamte Reform kommt, wird noch einige Zeit vergehen. Ein Teil der Reform soll aber schon im Herbst präsentiert werden, heißt es im Justizministerium.

Höhere Hürden

Wie der STANDARD erfuhr, soll dann ein erster Vorschlag für legistische Maßnahmen auf den Tisch kommen. Essenz der Reform: Die Hürden für den Übergang von Strafhaft in Maßnahmenvollzug könnten erhöht werden. Eine Verurteilung wegen gefährlicher Drohung könnte dann nicht mehr Basis für die Verhängung eines Maßnahmenvollzugs sein. Auch für die Entlassung aus der Maßnahme soll es klarere Regeln geben. Der Vorschlag soll in groben Zügen den Empfehlungen jener Arbeitsgruppe folgen, die im Auftrag des Ministeriums Reformvorschläge für den Maßnahmenvollzug ausgearbeitet hat.

Parallel zur Legistik wird auch an einer heiklen Frage weitergearbeitet: dem Transfer der zurechnungsunfähigen Täter ins Gesundheitssystem. Dass Straftäter, die ihre Schuld aufgrund geistiger Beeinträchtigungen gar nicht verstehen können, auch nicht mit Gefängnis bestraft werden dürfen, darüber besteht weitgehend Einigkeit.

Schwieriger wird es, wenn es ums Finanzielle geht: Das Justizministerium verhandelt derzeit auf Beamtenebene mit dem Gesundheitsministerium darüber, die rund 370 nicht zurechnungsfähigen Täter in Gesundheitseinrichtungen zu verlagern. Jene psychisch kranken Täter, die zurechnungsfähig sind, sollen wiederum vermehrt in speziellen Justizanstalten mit therapeutischem Ansatz wie etwa der Justizanstalt Asten in Oberösterreich unterkommen. Derzeit würden weitere 16 Insassen dorthin verlagert.

Nur ganz besonders schwere Fälle mit hohem Gefährdungspotenzial sollen weiterhin in Anstalten mit hohen Sicherheitsstandards festgehalten werden.

Ziel der Reform ist eine klarere Trennung zwischen Strafhaft und Maßnahmenvollzug. In Deutschland ist ein solches Abstandsgebot in der Verfassung verankert.

Insasse klagt Republik

Darauf verweist nun ein Insasse der Justizanstalt Mittersteig, der seine Haftstrafe vor drei Jahren abgebüßt hat und die Republik Österreich nun auf 50.000 Euro Entschädigung verklagt, weil er sich in seinem Recht verletzt sieht: Seine Unterbringung entspreche jener in Strafhaft, der Zugang zu Therapie sei mangelhaft.

Mangelhaft seien auch die Reformvorschläge des Justizministeriums, sagt Marianne Schulze, ehemalige Vorsitzende des Monitoringausschusses, der die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich prüft. Es reiche nicht, aus Insassen Patienten zu machen und sie in andere Einrichtungen zu "verschieben". Vielmehr brauche es mehr kleine, gemeindenahe Unterbringungen.

Die Justiz müsse sich fragen, was sie eigentlich unter Resozialisierung verstehe, fordert die Menschenrechtsexpertin: Nur, wer eine individuell passende Therapie erhalte, könne in die Gesellschaft wiedereingegliedert werden. Davon sei man derzeit weit entfernt. Seit der Aufregung über den im "Falter" aufgedeckten Vernachlässigungsskandal in der Justizanstalt Stein sei die wichtigste Konsequenz nicht gezogen worden, ärgert sich Schulze: "Es gibt keine einzige Therapiestunde zusätzlich."

"Bankrotterklärung"

Der Monitoringausschuss übt in seiner jüngsten Stellungnahme zudem scharfe Kritik an jenen Richtern, die über Verlängerung oder Freilassung von Insassen entscheiden: Die meisten nähmen sich für die Anhörung des Insassen nur wenige Minuten Zeit – laut Schulze "eine Bankrotterklärung des Rechtsstaates". (Maria Sterkl, 18.7.2015)