Wien – Eine schleppende Umsetzung der Gesundheitsreform hat die Vorsitzende der Trägerkonferenz im Hauptverband der Sozialversicherungsträger und Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse, Ingrid Reischl, am Montag kritisiert. Vor allem die geplante neue Primärversorgung zur Entlastung der Spitäler funktioniert noch nicht.

Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) hat am Montag ein geringes Tempo bei der Umsetzung der Gesundheitsreform eingestanden. Das Gesundheitssystem sei ein sich "recht langsam bewegender Koloss", sagte Oberhauser im Ö1-"Mittagsjournal". Dennoch zeigte sie sich zuversichtlich, das Ziel erreichen zu können, bis 2016 ein Prozent der Bevölkerung mit der neuen Primärversorgung zu behandeln.

Primärversorgung

Mit der neuen Primärversorgung sollen Ärzte, Therapeuten und Pflegefachkräfte ganztätig für die Patienten zur Verfügung stehen und damit die Spitäler und Ambulanzen entlasten. Dafür können entweder neue Zentren errichtet werden oder bestehende Einrichtung vernetzt werden. Ziel ist es, bis 2016 ein Prozent der Bevölkerung mit diesen Einrichtungen zu versorgen. Derzeit besteht allerdings erst ein Primärversorgungszentrum im Wien.

Reischl machte nun am Montag im Ö1-"Morgenjournal" die Ärztekammer mitverantwortlich für die Verzögerung: "In manchen Bundesländern gibt es keine Bereitschaft der Ärztekammer zu verhandeln", klagt Reischl und führt als Beispiel ihre Wiener Situation an: "Für die zwei Pilotprojekte (in Wien, Anm.) haben wir 38 Verhandlungsrunden gebraucht im Setting Ärztekammer, Wiener Gebietskrankenkasse und Stadt Wien. Das zeigt natürlich, dass es nicht so leicht ist", beklagt die WGKK-Obfrau. "Wenn es keine Bereitschaft von allen Beteiligten gibt, ist es schwierig. Dadurch geht es sehr langsam."

"Ein sehr schwieriger Prozess"

Reischl fehlt es auch an Flexibilität der Ärzte: "Ich muss nach wie vor Verträge unterschreiben von 9.00 bis 11.00 Uhr und einem langen Abend und von 13.00 bis 15.00 Uhr. Wie sollen die Menschen da zum Arzt gehen?" Es sei nicht möglich gewesen, wenigstens symbolisch eine Stunde längere Öffnungszeiten am Abend zu erreichen.

Für die Vorsitzende der Trägerkonferenz ist es auch schwierig, Betreiber für diese Zentren zu finden. "Es müssen sich drei Ärzte finden, die sich vielleicht gar nicht gut kennen und die ein wirtschaftliches Risiko teilen müssen – ein sehr schwieriger Prozess."

"Wir sollten aber im Zeitraffer agieren"

Reischl drängt jedenfalls darauf, mit dem kommenden Finanzausgleich Mittel umzuschichten. Das Angebot im niedergelassenen Bereich müsse verstärkt werden, und "logischerweise müssen auch die Mittel dorthin fließen". Das bedeutet: Die für die Spitäler zuständigen Länder würden weniger bekommen.

Zu langsam bei der Umsetzung der Reform geht es auch dem steirischen Gesundheitslandesrat Christopher Drexler (ÖVP): "Bei der Umsetzung handeln wir in Zeitlupe, wir sollten aber im Zeitraffer agieren", fordert Drexler und pocht auf eine "Dynamisierung des Prozesses, damit wir den Papiertiger mit Leben erfüllen können".

Verhandlungen über Gesetz ab Herbst

Die Gesundheitsministerin verwies auf die notwendige Koordinierung zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung und meinte, dass deshalb raschere Schritte nicht möglich seien. Bei ihrem Amtsantritt habe sie jedoch schon gewusst, dass sie nicht "mit Sieben-Meilen-Stiefeln durch das Land ziehen" könne. Für die neue Primärversorgung strebt Oberhauser ein eigenes Gesetz an, wie sie neuerlich bekräftigte. Auf Standard-Nachfrage hieß es dazu im Gesundheitsministerium, ab Herbst werde man darüber in Verhandlungen treten. Einen Zeitpunkt, wann ein Ergebnis vorliegen werde, wollte man nicht nennen.

Für die Finanzausgleichsverhandlungen, wo die Finanzierung des Gesundheitswesens ein großes Thema sein wird, laufen derzeit die Vorbereitungen. Mit der Dämpfung der Kostensteigerungen liege man derzeit im Plan, man müsse sich aber anstrengen, die Ziele zu erreichen, verwies die Ministerin auch auf die Gehaltsabschlüsse für Ärzte und Pflegepersonal. Oberhauser verwies auch auf einen kleinen Erfolg, wie etwa zuletzt die Einigung in der Zielsteuerungskommission auf ein Projekt für die Patienten-Erstinformation via Telefon und Internet. Das Pilotprojekt dafür soll allerdings erst Ende 2016 starten.

Ärzte sehen Geld als Hauptgrund für Verzögerung

Die Ärztekammer hat am Montag den Vorwurf, für die schleppende Umsetzung der Gesundheitsreform mitverantwortlich zu sein, zurückgewiesen. Präsident Artur Wechselberger machte stattdessen das Geld als einen Hauptgrund für die Verzögerung aus.

Für die neue Primärversorgung mit einem vernetzten Angebot verschiedener Gesundheitsberufe und längeren Öffnungszeiten zur Entlastung der Spitäler brauche es mehr Geld, betonte Wechselberger im Gespräche mit der APA. Wenn diese Ordinationen länger geöffnet sein soll, dann müssten nicht nur die Ärzte mehr Zeit investieren, sondern es müsse auch das Praxispersonal länger arbeiten und die Betriebskosten müssten steigen, argumentiert der Ärztekammerpräsident. Das müsse abgegolten werden. Derzeit gebe es aber im Gegenteil limitierte Honorierungssysteme, wo es für mehr Leistung weniger Geld gebe.

Stillstand bei Verhandlungen

Als zweiten finanziellen Aspekt führte Wechselberger an, dass es einen Stillstand in den Verhandlungen zwischen Sozialversicherungen und Ländern gebe, weil man sich nicht einigen könne, wer die Mittel zur Verfügung stelle. Der Traum der Sozialversicherung, dass die hauptsächlich für die Spitäler verantwortlichen Länder von sich aus mehr Mittel für den niedergelassen Bereich zur Verfügung stellen, werde sich nicht erfüllen. Es wäre die Aufgabe der Sozialversicherungen, den niedergelassenen Bereich zu organisieren und zu finanzieren. Davor hätten sie sich aber in den letzten Jahren "gedrückt", kritisierte Wechselberger.

Als weiteren Grund für die Verzögerungen sieht der Ärztekammerpräsident eine mangelnde Flexibilität für moderne Zusammenarbeitsformen und das Fehlen von neuen Leistungsangeboten. Er wünscht sich mehr Freiheit für die Leistungserbringer, damit Ärzte etwa Gruppenpraxen nach ihren Vorstellungen organisieren können. Sie müssten die Leistungen so erbringen können, wie sie glauben, dass es ihren Bedürfnissen und jenen der Patienten am besten entspricht, forderte der Standesvertreter.

Vernetzung

Den Vorwurf der Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse Ingrid Reischl, dass es in manchen Bundesländern keine Verhandlungsbereitschaft der Ärztekammer gebe, kann Wechselberger nicht nachvollziehen: "Das kann ich mir nicht vorstellen." Es liege im Interesse der Ärztekammer, die Patientenströme von den Ambulanzen in den niedergelassenen Bereich zu verlagern. Die Ärztekammer fordere seit Jahren einen Ausbau des niedergelassenen Bereichs mit mehr Kassenstellen. Zudem seien die Ambulanzen übervoll und die Belastungen der Ärzte in den Spitälern sehr groß. Der Ärztekammerpräsident wünscht sie für die neue Primärversorgung allerdings nicht die Errichtung von neuen Zentren, sondern nur die Vernetzung von bestehenden Einrichtungen. Dabei gehe es um die Nutzung aller möglichen Formen der Zusammenarbeit. (APA/spri, 20.7.2015)