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Abschaffung der kalten Progression erst nach der Tarifreform: Vizekanzler Reinhold Mitterlehner und Finanzminister Hans Jörg Schelling (beide ÖVP).

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Wien – Was Hans Jörg Schelling bei der Steuerreform nach eigenem Bekunden nicht gelungen ist, will er nun mit der Abschaffung der kalten Progression nachholen: sich als Finanzminister profilieren, der den Steuerzahlern eine nachhaltige Entlastung beschert. Zusammen mit Vizekanzler und ÖVP-Parteiobmann Reinhold Mitterlehner gab Schelling am Montag bekannt, noch im Herbst mit dem Koalitionspartner SPÖ über einen entsprechenden Automatismus verhandeln zu wollen.

Dieser sieht eine jährliche Erhöhung der Tarifgrenzen bei der Lohn- und Einkommenssteuer vor. Auf die Art will man in Zukunft verhindern, dass Arbeitnehmer bei Lohnsteigerungen automatisch in eine höhere Tarifklasse rutschen und somit mehr Abgaben zahlen müssen. Diese "schleichende Steuererhöhung", wie Schelling die kalte Progression bezeichnete, soll ab 2017 der Vergangenheit angehören.

Hohe Kosten für den Staat

400 Millionen Euro Entlastung soll die automatische Anpassung der Tarifstufen bringen – pro Jahr. "Das ist die Untergrenze", betonte Schelling und fügte hinzu, der Umfang könne je nach Modell und durch kumulierte Effekte auch höher sein. Noch arbeite man im Finanzministerium an einem solchen Modell, verschiedene Optionen werden durchgerechnet.

Wie viel die kalte Progression die Steuerzahler tatsächlich kostet, ist nicht eindeutig geklärt. In einer Anfragebeantwortung aus dem April listete der Budgetdienst des Parlaments mehrere Studien zum Thema auf. Die Schätzungen des Effekts schwanken demnach zwischen 1,4 Milliarden Euro (Finanzministerium), 1,9 Milliarden (IHS), 2,3 Milliarden (GAW) und 2,5 Milliarden (Agenda Austria), allein für 2013.

SPÖ signalisiert Zustimmung

Die sozialdemokratische Regierungshälfte reagierte positiv auf den Vorstoß. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid verwies auf einen geltenden Parteitagsbeschluss, in dem zumindest die Eindämmung der kalten Progression gefordert wird. "Wir sind jederzeit zu konstruktiven Gesprächen mit der ÖVP bereit, um hier Nägel mit Köpfen zu machen", so Schmid.

Einem Automatismus steht die SPÖ aber skeptisch gegenüber: "Wie die Anpassung genau zu erfolgen hat, sollte politische Entscheidung bleiben, damit ein Spielraum für sozial ausgewogene Lösungen vorhanden ist", erklärte Schmid. Einen Automatismus sollte es nur für den Fall geben, dass keine politische Einigung erreicht werden kann.

Interessanter Zeitpunkt

Dieselbe Reaktion kam auch aus dem Büro von Sonja Steßl, Staatssekretärin im Bundeskanzleramt und in der SPÖ für die Steuerreform zuständig. Ihr Sprecher zeigte sich aber überrascht über den Zeitpunkt des ÖVP-Vorstoßes so kurz nach deren Beschluss.

Tatsächlich ist die zeitliche Vorgehensweise interessant. Der Automatismus sei deshalb nicht im Rahmen der Steuerreform beschlossen worden, weil man eine längere Vorbereitungszeit benötige, meinte Schelling am Montag. Gemeint sind nicht die technischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung – es reicht eine kleine Änderung in der Steuergesetzgebung –, sondern die Erarbeitung eines entsprechenden Modells. Dies sei im ohnehin gedrängten Zeitplan bei der Steuerreform nicht unterzubringen gewesen, präzisierte eine Sprecherin des Finanzministeriums auf Nachfrage.

Offene Gegenfinanzierung

Unterschiedliche Ansichten dürfte es in der Frage der Gegenfinanzierung geben. Schelling meinte dazu lapidar: "Ich habe immer gesagt, Österreich hat ein Ausgaben- und kein Einnahmenproblem." Die SPÖ hingegen hatte wiederholt auf Vermögens- und Erbschaftssteuern gedrängt.

Kritik kam sowohl von den Neos als auch von FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl. Die ÖVP habe noch vor wenigen Tagen einen genau gleichen Vorschlag im Parlament abgelehnt, so Kickl. Auch andere Oppositionsparteien hatten im Zuge der Behandlung im Parlament teils vehement den Wunsch einer Abschaffung geäußert. Nun scheint er erhört worden zu sein.

Grüne: SPÖ von ÖVP überrumpelt

Der Finanzsprecher der Grünen, Werner Kogler, will die kalte Progression ebenfalls abgeschafft wissen. Er kann sich aber eine raschere Umsetzung vorstellen – und "hofft, dass es mehr ist als ein Sommer-Gag" der kleineren Regierungspartei. Die ÖVP habe zudem "die SPÖ überrumpelt, das ist ein schlechtes Vorzeichen", so Kogler am Dienstag zur APA. Nun sei das Augenmerk darauf zu legen, dass man sich zur Abschaffung verpflichtet "und sich nicht wie seit 20 Jahren weiter im Kreis dreht".

Schelling verwies am Montag auf andere Länder wie die Schweiz, wo die automatische Anpassung der Tarifklassen in der Verfassung verankert sei. Weitere Tarifreformen wie die eben beschlossene würden sich in Zukunft jedenfalls erübrigen, bejahte der Finanzminister eine entsprechende Frage.

"Vertrauensbildendes" Wirtschaftsprogramm

Mitterlehner seinerseits sagte, er wolle vorweg klarstellen, dass es sich nicht um eine Provokation in Richtung Koalitionspartner handle. "Es ist ein vertrauensbildendes Programm, auch in Richtung SPÖ." Man habe "kapiert, was andere Länder tun", verwies er auch auf weitere Programmpunkte eines größeren Vorhabenpakets der ÖVP zum Thema Arbeit und Wirtschaft. Damit wolle man den Konsum und die Investitionen stützen, so Mitterlehner.

Die geplanten Maßnahmen umfassen zum Teil neue Pläne im Bereich des Bürokratieabbaus. Zum anderen finden sich auch lang gehegte ÖVP-Wünsche auf der Liste, wie etwa eine Senkung der Lohnnebenkosten und eine Arbeitszeit-Flexibilisierung.

Schelling verwies auch auf weitere Bemühungen der Regierung, um Erhöhungen bei Steuern und Abgaben zu reduzieren. Die am Wochenende bekannt gewordene Fortsetzung der Gebührenbremse – die den Bürgern 30 Millionen Euro bringen soll – gehöre ebenso dazu wie die Tarifsenkung im Rahmen der Steuerreform. Er nahm Länder und Gemeinden in die Pflicht, es dem Bund gleichzutun und die Gebühren für Verwaltungstätigkeiten ebenfalls nicht zu erhöhen. (Simon Moser, 21.7.2015)