Ernsthaftigkeit und Präzision durchziehen ebenso ihre Texte wie die Neigung, durch Irritationen Nachdenkprozesse anzuregen. Zum Beispiel durch die Frage, ob der Krieg nicht ein Ereignis sei, das Männer verweiblicht: Alissa Walser.

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Alissa Walser, "Von den Tieren im Notieren". € 17,50 / 160 Seiten. Piper-Verlag, München 2015.

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In ihrer jüngsten Buchpublikation hat sich Alissa Walser für einen Reim im Titel entschieden: "Von den Tieren im Notieren". Es ist ein bunter, nachdenklicher wie launiger Sammelband, in dem die 1961 geborene Autorin Kurzprosa, Essays, Laudationes, Bildbeschreibungen und andere selbstreflexive Überlegungen aus ihrem überquellenden Zettelkasten zu ihrem Schreiben und ihrem Malen bzw. Zeichnen vereint; eine Reihe von Kapiteln über prägende Maler und Schriftsteller und so manchen vergnüglichen Vorfall: Als Walser einst von einer Lesung aus Graz abfliegen wollte, brach ein isländischer Vulkan aus – die Beschreibung von bürokratisch-gelangweiltem steirischem Flugpersonal in Momenten "höherer Gewalt" ist zum Brüllen.

Tiere nehmen einen zentralen Platz im Schreiben ein. "Als typische Vertreterin des modernen Abendlandes bin ich es gewohnt, das Tier als das schlechthin Andere zu begreifen", schreibt Walser und sieht das Tier als eine Art Spiegel, in dem nicht sie erscheine, sondern die Differenz zu ihr. Es wird zur Rettung einer Schwalbe durch eine Möwe kommen!

Pferdemetaphern als Sinnbild des Schreibens

Was zunächst recht abstrakt wirkt, konkretisiert sich an anderer Stelle, wenn es um ihre Lieblingsfigur, das Pferd, geht (Figur natürlich als ein fiktionales Wesen verstanden, auch wenn es bildhaft heißt: "Seine Schritte schaukeln mir den Weg in den Leib"). Pferdemetaphern als Sinnbild des Schreibens mag Walser: Aufbäumen, Ausbrechen, Durchgehen.

Wir erfahren, dass auch für Sylvia Plath das Schreiben ein "Akt schöpferischer Energie" war. Walser hat Gedichte Plaths ins Deutsche übertragen und ist eine exzellente Kennerin der US-Autorin, die als Ikone der Frauenbewegung gilt und deren früher Freitod zum Mythos stilisiert wurde.

Im Essay "Help help I feel life coming closer when all I want is to die (Marilyn Monroe)" denkt Walser über Plaths einzigen Roman Die Glasglocke nach und sieht scharfsinnig Houellebecq als Nachfahre einer Literatur, die "unsere Wahrnehmung unserer Zeit" schärft. Im Mittelpunkt das Scheitern: Plaths großartige Beschreibung des unglaublich prüden Amerika der 1950er-Jahre mitsamt der bemerkenswerten Figur Esther Greenwood sollte man sich zu dieser Gelegenheit – wieder – zu Gemüte führen.

Was nicht zu erklären ist

Einem größeren Publikum bekannt geworden ist Alissa Walser durch ihren bemerkenswerten Roman "Am Anfang war die Nacht Musik" (2010), in dem es um den Magnetiseur Franz Anton Mesmer (1737–1815) geht, als dieser in Wien praktizierte und die "Jungfer Paradis", eine blinde, am Hof berühmte Pianistin und Komponistin, zu heilen versuchte. Ihr ging es nicht, wie Walser nun rückblickend aus ihrem Notizkasten sinniert, um Mesmers Methode oder darum, ob er seine Patientin heilt, sondern um deren Begegnung und "ob und wie sie einen Ausdruck für ihr Tun finden (...). Mich reizte das Stumme, das Blinde und alles, was nicht zu erklären ist."

Ernsthaftigkeit und Präzision durchziehen ebenso Walsers Texte wie die Neigung, durch Irritationen Nachdenkprozesse anzuregen. Zum Beispiel durch die Frage, ob der Krieg nicht ein Ereignis sei, das Männer verweiblicht. Neben subversivem Feminismus stehen schrullige Sätze wie "Schade. Jetzt habe ich mich selbst eingeholt".

Ich und der Andere

In der kurzen Bemerkung "Über mein Schreiben" schaut die in Frankfurt am Main lebende Autorin, Tochter des Schriftstellers Martin Walser, sich selbst über ihre Künstlerinnenschulter und begreift sich als Vermittlerin und Grenzüberschreiterin, als Übersetzerin zwischen dem Ich und dem Anderen.

Der Zettelkasten ist ihr wichtiger als der Computer. Wobei sie den PC natürlich nicht verteufelt, sondern als Medium für ihre Arbeit sowohl im Schreiben als auch in der Malerei einzusetzen vermag, zum Beispiel bei der Betrachtung von Gemälden, um Verschiebungen in der Wahrnehmung zu erzeugen. Das hilft ihr bei den Bildbeschreibungen, die sie für Ausstellungen macht. Mit dem Computer habe sie die Möglichkeit, sehr viel näher das Bild zu sehen, als es der Maler, im speziellen Fall der wenig bekannte Landschaftsmaler Christian Friedrich Gille (1805–1899), jemals konnte: "Zoom, zoom, zoom, Bienchen zoom herum."

Unterzeichnungen

Das Leben mit mehr als fünf Millionen Pixel ist spannend, denn so entdeckt sie eine eigenständige "Unterzeichnung" hinter der Landschaftsskizze. Über Gille schreibt Walser: "Ich mag Menschen, die das Unmögliche versuchen, ohne es beweisen zu können, und erst recht Menschen, die es nicht beweisen müssen." Ein gemeiner Landschaftsmaler mit einer Neigung, mit Mut zum Unkonventionellen; das schätzt Walser, das kann als ihr Arbeitsideal verstanden werden.

Im Innenteil des Buchumschlages ist Gilles Gemälde nebst anderen abgebildet, darunter ein wunderbares Naturbild des Malers Matthias Holländer, über dessen "malerischen Eros" Walser einen ausführlichen Essay verfasst hat.

Und dann hat sie auch eigene Zeichnungen hineingebracht: verschlungene Körper, ineinanderfließend, schwarz-weiß und mit einfachen Linien dargestellt. Der "Schläfer", eine Zeichnung nach "Sleeping" des Malers Philip Guston, wirkt auf den ersten Blick wie ein struppiger Rübezahl, kann aber bei genauerem Hinsehen auch ein in dicke Daunen gehüllter Mensch sein, dessen Kopf unsichtbar ist; vielleicht ein König, vielleicht ein Obdachloser.

Den abstrakten Expressionisten Guston hat Alissa Walser ab 1981 während ihres Studiums der Malerei in New York im MoMA studiert. Seine Bilder "stießen mich ab, zogen mich an, sie verfolgen mich", heißt es in "Über meine Arbeit". In Walsers Malerei nimmt der Mensch die zentrale Rolle ein. Auf Mensch gibt es zwar keinen Reim, für eine neuerliche Publikation würde ihr aber ein klingender Titel einfallen. (Sebastian Gilli, Album, 30.7.2015)