STANDARD: Sie sind mit Einschränkungen Grün-Sympathisant. Was gibt es denn an der ÖVP, das Sie anspricht und interessiert?

Goisern: Dass sie für Werte steht und zu Traditionen einen positiven Zugang hat. Das habe ich auch, aber nicht nur. Das muss man immer wieder kritisch hinterfragen. Und na ja, der Mann, der neben mir sitzt, ist einer, für den man sich nicht schämen muss. Was ja bei unseren Politikern nicht oft der Fall ist. Es hat schon eine Zeit gegeben, wo ich mit den Grünen so gehadert habe, dass ich mir gedacht habe, vielleicht wähle ich einmal Schwarz. Aber das war echt nur ein ganz kurzer Gedanke. Marodierende Grüne sind mir dann doch näher als die ÖVP.

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STANDARD: Und was passt Ihnen gar nicht an der ÖVP?

Goisern: Mir taugt nicht, dass sie in Sachen Bildung so betonieren, seit Jahrzehnten, muss man sagen. Bei Herrn Mitterlehner finde ich bedauerlich, dass er so ein gnadenloser TTIP-Verfechter ist. Das geht gar nicht. Da kann man als Gegenposition eigentlich nur gnadenlos dagegen sein.

STANDARD: Wie geht es Ihnen mit diesem Bild der ÖVP?

Mitterlehner: Es ist schön, dass der traditionelle Werte-Teil so positiv rüberkommt, aber sonst würde ich gerne differenzierter wahrgenommen werden. Wir arbeiten daran, in der Bildungspolitik etwas weiterzubringen. Ich bin nicht der Typ, der starr an irgendetwas hängt. Bei TTIP haben wir wirklich ein Vermittlungsproblem. Österreich hat immer von Handelsabkommen profitiert. Dass wir TTIP nur anhand der Schiedsgerichte diskutieren, ist ein Auftrag, besser zu kommunizieren.

Goisern: Bei TTIP wird nur gemauschelt, da gibt es keine Transparenz. Da setzen sich ein paar zusammen, die sich auskennen, und die Bevölkerung wird für zu blöd gehalten, dass sie das kapiert.

Hubert von Goisern und Reinhold Mitterlehner im Garten des Museums für angewandte Kunst in Wien
Foto: newald

Mitterlehner: Es ist wahrscheinlich bei der Politik generell das Problem, dass das, was im Hintergrund steht, in der ganzen Komplexität oft nicht vermittelbar ist. Bei den TTIP-Verhandlungen war es etwa ein kommunikativer Fehler, dass das Verhandlungsmandat nicht einsehbar war. Was ist aus Ihrer Sicht das Gegenargument gegen TTIP?

Goisern: Ich bin auch dafür, dass Handelsbeschränkungen abgebaut werden. Aber das ist nicht nur positiv. Wir überfluten Afrika mit günstigen Produkten, sodass sie ihre eigenen Produktionen einstellen müssen. Man kann nicht sagen, zack, die Grenzen runter, dann löst sich das alles von selber.

Mitterlehner: Mehr Wettbewerb schmeckt nicht jedem. Ein Handelskonzern, der seine Eigenmarken positioniert hat, hat kein Interesse daran, dass ein amerikanischer Konzern auch noch seine Lebensmittel hier anbietet. Der gibt dann vor, man müsse die Bevölkerung schützen. Ich bin der Meinung, der Bürger soll selber auswählen können, er ist mündig genug, um zu sagen, das will ich oder das will ich nicht. Unsere Standards müssen aber gesichert sein.

Goisern: Ich bin ein Verfechter, dass ich da, wo ich hinkomme, das Bier trinke, das es dort gibt. Ich finde es krank, dass ich mir in Wien zum selben Preis wie das Ottakringer ein Villacher oder Vorarlberger Bier kaufen kann. Das gilt erst recht für amerikanische Lebensmittel. Die können das schon hier anbieten, aber dann muss der Transport das kosten, was er de facto uns kostet, auch mit den Auswirkungen auf das Klima. Wenn ein Lastwagen von Vorarlberg nach Wien fährt, dann muss das was kosten, das muss richtig wehtun. Da muss man sich überlegen, ob man ein Wiener oder Vorarlberger Bier trinkt.

Zwischen dem Musiker und dem ÖVP-Chef gibt es überraschend viel Verbindendes, aber auch Trennendes

Mitterlehner: Da gebe ich Ihnen recht. Ich bin auch ein Verfechter einer regionalen Produktion und dass man möglichst geringe Transportwege hat.

Goisern: Aber es gibt auch Sachen, die woanders gemacht werden, die einfach lässig sind. Ich spiele fast nur amerikanische Gitarren.

Mitterlehner: Sie haben sich doch so über das ausbleibende Rauchverbot beschwert. Was sagen Sie jetzt? Das haben wir doch souverän beschlossen.

Goisern: Also souverän war das wirklich nicht.

Mitterlehner: Na ja, es gibt ein paar Einsprüche und eine Übergangszeit in den Raucherlokalen ...

Goisern: Dass das Rauchen in Lokalen endlich abgeschafft wird, hat viel zu lange gedauert. Und noch ist es ja gar nicht passiert. Warum geht das denn nicht: Jetzt läutet die Glocke, und jetzt gehen wir alle hinaus rauchen?

Mitterlehner: Dazu müsste man eine absolute Mehrheit haben.

Goisern: Für so was muss man doch leicht eine Mehrheit bekommen.

Mitterlehner: Die Leute wollen nicht bevormundet werden. Das muss man ausdiskutieren, das braucht seine Zeit. Aber stimmt schon: Manches könnte schneller passieren. Wissen Sie was? Obwohl ich Politiker bin, hat mir Ihr Lied Brenna tuat's guat sehr gut gefallen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Goisern: Diese Lieder kommen selten aus der spontanen Regung heraus. Da staut sich was auf über lange Zeit. Und dann kommt das in diesem Prozess des Liedschreibens aus diesem Ventil raus. Da hör ich mir eigentlich selber zu, was da daherkommt. Da kommt schon auch viel Blödsinn.

Mitterlehner: Ich hab das Lied sehr anregend gefunden.

Goisern: Es sind zwei Themen drinnen: Wo ist das Geld, das überall fehlt, und ...

Mitterlehner: Geld und Nachhaltigkeit, wenn ich richtig zugehört habe.

Goisern: Ja, das sind die Themen. Dass man Lebensmittel zu Treibstoff verarbeitet angesichts dessen, dass Leute hungern, das geht sich nicht aus. Und ich verstehe nicht, warum wir so einen Geldmangel haben.

Mitterlehner: Das Beispiel Griechenlands zeigt: Es ist nicht wirklich ein Geldmangel, sondern ein Produktivitäts- oder Wettbewerbsmangel. Sie haben ja auch viele andere Länder bereist, die zum Teil eine andere Zufriedenheit haben, aber man muss ja nicht alles auf unser Niveau bringen.

Goisern: Nein, muss man nicht. Ich bin ja auch ein Verfechter der Armut. Es darf Armut kein Makel sein. Wenn jemand sagt, ich komme aus, im Extremfall als Sandler, warum muss man auf den runterschauen? Warum muss man sagen, das ist eine gescheiterte Existenz? Das maße ich mir nicht an.

"Wenn er zu Hause sitzt und sagt, er kommt mit wenig aus und trinkt sein Bier, okay, eine Möglichkeit", so der Minister
Foto: newald

STANDARD: Ins ÖVP-Bild der Leistungsgesellschaft passt das nicht.

Mitterlehner: Ich sehe das als Wahlfreiheit. Ich möchte jedem die Chance bieten, dass er seine Vielfalt lebt. Wenn er leistungsorientiert sein möchte, muss er Zugang haben zum Bildungssystem. Wenn er aber zu Hause sitzt und sagt, er kommt mit wenig aus und trinkt sein Bier, okay, eine Möglichkeit. Aber generell muss man sich zunächst einmal etwas erarbeiten. Die ÖVP definiert das Bürgerliche über Werte wie Eigentum, Freiheit, Leistung und Solidarität. Und das setzt eben auch voraus, dass ich einmal was tun muss. Die Anspruchslosigkeit des Einfach-nur-da-Seins ist zu wenig.

Goisern: Glaub ich auch. Das Nur-mit-sich-selbst-Beschäftigen ist zu wenig, wenn man in einer Gesellschaft leben will, wo man die Infrastrukturen mitbenützen will, die andere erschaffen. Da kann man nicht sagen: Das geht mich alles nichts an, lasst mich in Ruhe.

STANDARD: Warum gehen bei der Diskussion über Flüchtlinge die Wogen so hoch?

Mitterlehner: Da stimmen die Fakten und die subjektive Wahrnehmung nicht überein. Bei uns im Mühlviertel hat noch niemand einen afrikanischen Flüchtling getroffen, und dennoch besteht die Angst, dass ihm der den Arbeitsplatz wegnimmt und die Sicherheit gefährdet. Das Thema ist nur beherrschbar, wenn man die Leute noch individuell wahrnehmen kann. Wenn ich in meinem Heimatort bei tausend Leuten zehn Flüchtlinge unterbringe, kann ich diese individuell unterscheiden. Wenn in einem kleinen Ort hunderte Flüchtlinge sind oder tausende wie in Traiskirchen, haben die Menschen Angst. Wir müssen uns dem Thema stellen, nicht nur die Politik, auch die Gesellschaft. Menschenrechte sind eben nicht teilbar. Wir müssen in Österreich unseren Teil leisten, genauso muss Europa Solidarität zeigen.

Goisern: Das haben wir alle übersehen. Diese Flüchtlingswelle hat sich angekündigt, auch mit den tragischen Todesfällen im Mittelmeer. Da hat man gewusst, das kommt auch zu uns. Das hätte man früher angehen müssen.

STANDARD: Angeblich hat Innenministerin Mikl-Leitner seit Jahr und Tag im Ministerrat davor gewarnt – und die anderen Regierungsmitglieder hat es nicht interessiert.

Mitterlehner: Wir haben klare Kompetenzen, die beim Bund und den Ländern liegen. Dort muss man in Kooperation mit NGOs die Lösungen erarbeiten. Wir unterstützen die Innenministerin und bemühen uns selbst, im Gespräch mit den Ländern und mit privaten Organisationen Unterbringungsmöglichkeiten auszuloten. Alle sind gefordert.

Goisern: Wenn die Mikl-Leitner das im Ministerrat kommuniziert, ist mir das zu wenig. Die ist ja eh kein Zarterl. Die soll rausgehen und kommunizieren, dass wir da jetzt was tun müssen.

"Die ist ja eh kein Zarterl." Von Goisern über die Innenministerin
Foto: newald

STANDARD: Letztendlich profitiert Heinz-Christian Strache von der Debatte.

Mitterlehner: Das finde ich sehr bedauerlich, und ich hoffe, dass sich das noch ändert, dass die Leute zum Nachdenken anfangen. Alles abzulehnen und nichts zu tun ist kein politisches Programm.

Goisern: Ich bin ehrlich gesagt fassungslos, dass es so viele Leute gibt, die goutieren, was Strache sagt. Offenbar gibt es dieses Drittel an Leuten, die nicht weiter denken als bis zur Nasenspitze, die glauben, wenn sie den wählen, regelt sich das alles von selber. Wir sehen das in Griechenland, wobei ich nicht Tsipras mit Strache vergleichen will. Aber auch der ist ein Populist. Und jetzt ist es noch schlimmer, als es vorher gewesen ist. Dabei habe ich mich gefreut: Jetzt kommt endlich einmal ein Roter daher, weil mein Herz ist einfach links, Ihres doch auch.

Mitterlehner: Schon, aber die Politik nicht.

Goisern: Links ist für mich etwas Positives, das steht für Solidarität. Für mich ist Europa viel zu weit rechts und zu sehr auf die Wirtschaft ausgerichtet. Der Slogan "Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut" ist doch Unsinn, ich glaube, es ist umgekehrt: Wenn es uns gut geht, geht es auch der Wirtschaft gut.

Mitterlehner: Eine dynamische Wirtschaft ist für alle gut, das hat Christoph Leitl mit seinem Slogan gemeint. Wenn wir uns vorher nichts erarbeitet haben, gibt's auch nichts zu verteilen.

Goisern: Beim Leitl zieht es mir gleich einen Ausschlag auf.

Mitterlehner: Lieber nicht, das wär schlecht fürs heutige Konzert.

Goisern: Bis dahin ist das wieder vorbei. Leitl gehört zu denen, die Sachen verteilen, die andere erarbeiten haben, ich rede von der Festplattenabgabe und den Urheberrechten von Künstlern. Die Festplattenabgabe ist jetzt endlich durch, aber eigentlich ist das eine Sauerei. Die Festplattenabgabe wird seit Jahren eingehoben, aber nicht an die Künstler weitergegeben. Dass sich die Wirtschaft anmaßt, diese Einnahmen zu deckeln, ist unglaublich. (Michael Völker, Video: Raoul Kopacka, 1.8.2015)