Behutsame Moderne: Komponist und Dirigent Matthias Pintscher.

Foto: Matthias Baus

Wien – Er "findet ungewöhnlich große Resonanz" bei Veranstaltern ebenso wie beim breiten Publikum und gehört zu den "bekanntesten deutschen Komponisten seiner Generation": So stellt das Komponistenlexikon (Metzler- und Bärenreiter-Verlag) in einem ansonsten recht kritischen Artikel den 1971 geborenen Matthias Pintscher vor, den die Besucher des Musikfestivals Grafenegg heuer als Composer in Residence kennenlernen können: durch die Uraufführung seiner neuen Trompetenfanfare sowie durch eine Reihe von Stücken, die das gesamte Tonkünstler-Orchester Niederösterreich spielen wird.

Pintscher ist als Dirigent und Komponist äußerst vielseitig und nur zu einem völlig ungeeignet: seine Hörer zu verschrecken. Stattdessen nimmt sie seine Musik behutsam an die Hand, um sie – dann auch – zu neuen Klängen hinzuführen. Der Deutsche ist nämlich fest in der Tradition verwurzelt.

Bereits mit 22 Jahren erregte er Aufmerksamkeit, weil er damals bereits drei Symphonien geschrieben hatte, und zwar infolge eines Initialerlebnisses: Seit er als 15-Jähriger das Musikschulorchester seiner Heimatstadt Marl dirigieren durfte, wusste der Junge, dass er selbst für Orchester komponieren wollte.

Tradition und Lehrer

Es war dies ein Vorhaben, das er zielstrebig verfolgte, und zwar vor allem als Student bei ebenfalls eher traditionsorientierten Lehrern: also bei Giselher Klebe, Manfred Trojahn und Hans Werner Henze, dann aber auch bei Peter Eötvös und Helmut Lachenmann.

Allein an diesen Namen lässt sich ablesen, dass sich Matthias Pintscher keineswegs mit einer bestimmten stilistischen Richtung begnügen wollte. Wohl ist ihm das Anliegen geblieben, sich möglichst direkt mitzuteilen. Doch ist sein Anspruch zugleich auch, die avanciertesten Mittel der Musik mit einzubeziehen. Und so verbinden sich bei Pintscher große, expressive Gesten, die Anleihen bei Gustav Mahler oder Alban Berg nehmen, mit instrumentaltechnischer Verfeinerung und den reichen Landschaften der Geräuschklänge – wie sie vor allem Helmut Lachenmann erschlossen hat.

Doch dabei knüpft Pintscher stets an Vertrautem an und schafft meist reiche Spielräume für Assoziationen, seien sie außermusikalischer oder musikalischer Natur. Überaus plastisch sind denn auch auch seine Musiktheaterwerke, von denen Thomas Chatterton den nachhaltigsten Erfolg hatte – eine Oper, die sich mit der "wachsenden Hybris eines Individuums in seinem sozialen Umfeld" (Pintscher) beschäftigte.

Auch seine Instrumentalkompositionen lassen sich allerdings durch scharfe Kontraste (zwischen verhaltenen Klängen und heftigen Eruptionen), durch fassliche melodische Linien oder Marsch- und Fanfarenanklänge wie der Soundtrack zu einem imaginären Film erfahren. Und durch zitathaftes Heraufbeschwören von Musik früherer Zeiten ermöglicht Pintscher es seinen Zuhörern, sich seinen Stücken ausgehend vom Gewohnten anzunähern – durch ästhetische "Querfeldein-Kontakte", wie es der deutsche Komponist Helmut Lachenmann nennen würde.

Die Probleme beim Verständnis der Musik Pintschers sind dadurch eher begrenzt. Oder wie es der Komponist, der in Grafenegg übrigens auch den Composer-Conductor-Workshop "Ink Still Wet" leitet, einmal in einem Interview ausgedrückt hat: "Das Ziel ist nicht das Verstehen, sondern die Wahrnehmung." (Daniel Ender, 7.8.2015)