Die Türkei brennt, und ihre Regierung ist im Schwebezustand. Doch das Treffen der Führer der zwei größten türkischen Parteien lief besser als erwartet: Ahmet Davutoglu, der geschäftsführende Premierminister, hat einer großen Koalition zwischen seinen Konservativ-Religiösen und den Sozialdemokraten von Kemal Kiliçdaroglu nicht gleich eine Absage erteilt. Die beiden Parteichefs haben über ein Bündnis für volle vier Jahre gesprochen, so wird in Ankara versichert. Die Entscheidung soll später diese Woche fallen. Das ist schon viel in einem Land, in dem seit Jahren nur noch einer entscheidet: der heutige Staatspräsident Tayyip Erdogan.

Davutoglu mag bereit sein, die Macht mit Kiliçdaroglus Partei zu teilen. Doch Erdogan ist es sicherlich nicht. Die Herrschaft in der Türkei ist um seine Person konstruiert. Die Opposition verlangt, dass der Präsident in den Grenzen seiner Rolle bleibt, wie sie die türkische Verfassung vorschreibt: über den Parteien, nicht in der Tagespolitik.

Tayyip Erdogan hat bekanntlich ein anderes Interesse. Er will eine neue Präsidialverfassung nach Maß seiner Machtvorstellungen. Er will kein Parlament, das entscheidet; er braucht nicht einmal einen Premier. Die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) ist seine Wahlmaschine und sein Netzwerk im Land.

Eine große Koalition könnte die Türkei aus Erdogans Würgegriff befreien. Sie wird nicht billig für die AKP sein, die seit ihrer Gründung nur allein regiert hat. Die säkularen Sozialdemokraten wollen nicht nur Erdogans Zähmung, sondern auch Korrekturen in der Außen- und in der Bildungspolitik. Sie haben zudem soziale Versprechen gemacht, die halbwegs erfüllt sein wollen. Doch Krieg und Terror, in die die Türkei praktisch auf Knopfdruck mit dem Beschluss zu Bombenangriffen auf die PKK und zu Massenrazzien gerutscht ist, haben nun zu einem nationalen Notstand geführt. Er ist so groß geworden, dass die großen Koalitionäre in spe kompromissbereit erscheinen.

Ein breites Regierungsbündnis der bisherigen Gegner würde die Spaltung der türkischen Gesellschaft reparieren, aus der Tayyip Erdogan jahrelang politischen Gewinn schlug. Eine große Koalition würde der türkischen Wirtschaft wieder Sicherheit geben. Vor allem aber könnte sie die Waffen zum Schweigen und den Friedensprozess mit den Kurden wieder in Gang bringen. Doch alles steht und fällt mit Erdogans Entscheidung. (Markus Bernath, 11.8.2015)