Zelte und Container. Busse als Behelfsunterstand. Überfüllte Quartiere für neu ankommende Flüchtlinge. Man kann, man muss das alles schrecklich finden. Und doch verstellt der Blick auf das unmittelbare Leid der hierzulande Schutzsuchenden die größere Perspektive.

Irgendwann, hoffentlich früher als später, werden diese Menschen aus den Zelten, Containern und Massenlagern herauskommen. Alles spricht dafür, dass von den 80.000, die heuer erwartet werden, eine große Mehrheit hierbleiben darf: Syrer und Iraker wird man nicht in ihre unsichere Heimat abschieben können, viele andere auch nicht. Also werden sie ganz legal hierbleiben dürfen. Und sie werden Familienmitglieder nachholen wollen, nachholen dürfen.

Das ist ihr gutes Recht. Aber wohin sollen sie diese holen? Bei all dem Hin und Her, wie die gravierendsten Probleme der Erstversorgung gelindert werden könnten, wird übersehen, dass zwischen 50.000 und 60.000 Flüchtlinge hierbleiben werden – und dass jeder ein, zwei, vielleicht auch drei Familienmitglieder nachholen wird. Das bedeutet einen Zuwanderungsschub von wohl 150.000 Personen – das entspricht der Einwohnerzahl der Stadt Salzburg. Mindestens.

Das kann einen freuen oder nicht. Aber: Es wird passieren.

Und Österreich wird sich dieser ungeplanten Zuwanderung stellen müssen. Das hat es bisher versäumt.

Allenfalls wird darüber diskutiert, wie man die Kinder, die schon da sind, auf die Unterrichtssprache vorbereiten kann. Das gehört rasch und pragmatisch gelöst. Denn es werden noch mehr Kinder kommen und mehr Erwachsene. Sie werden irgendwo wohnen müssen.

Dazu muss man wissen: Schon vor dem Beginn des aktuellen Flüchtlingszuzugs galt als unbestritten, dass in Österreich jedes Jahr 10.000 zusätzliche Wohnungen errichtet werden müssten – was nicht passiert ist.

Dieser Mangel an Wohnraum wird nun verschärft, wenn Familien aus Syrien, dem Irak oder sonst einem Krisengebiet eine fixe Bleibe brauchen. Oft wird argumentiert, dass man das mit den Massen an Vertriebenen in den 1940er-Jahren ja auch irgendwie geschafft hätte – aber das waren andere Voraussetzungen. Erstens konnte damals eine Viertelmillion der Sudetendeutschen und der anderen Altösterreicher bei Verwandten andocken. Zweitens hat Österreich jene rund 50.000, die hier kein privates soziales Netz vorgefunden haben, in ziemlich primitiven Lagern untergebracht.

Beides kommt jetzt nur bedingt in Betracht. Es bleibt gar nichts anderes übrig, als für die Neuankommenden Wohnraum mit hohen Ausstattungsstandards neu zu errichten.

Das wird vielen nicht gefallen, die von sich selber annehmen, dass sie im Leben zu kurz gekommen seien. Wer eine Wohnbauoffensive für die Flüchtlinge in Gang setzt, wird von vielen eigenen Landsleuten angefeindet werden. Und wird daher gute Argumente brauchen.

Aber deren gibt es genug: Erstens muss man den Zuwanderern ja nichts schenken – Wohnkredite können sie langfristig in unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem einbinden. Zweitens: Die Errichtung neuer Wohnviertel ist eine Herausforderung für Stadtplaner, Raumordner und vor allem Künstler. Kleindamaskus an der Donau, in den Alpen – warum nicht? Und schließlich: Wohnbau ist ein Konjunkturmotor. Zumindest der geschäftliche Aspekt sollte Zweifler besänftigen. (Conrad Seidl, 16.8.2015)