Die innere Leere der Menschen, die Entfremdung zur Stadt und ihren Gebäuden wollte Cao Fei in ihrem Film "Haze and Fog" (2013) darstellen: Aus surrealen Szenen mit Plastikmelonen in der Wanne und Yoga auf der Tischtennisplatte wird ein absurd guter Zombiestreifen.


Filmstill: Cao Fei, Vitamin Creative Space
Filmstill: Cao Fei, Vitamin Creative Space

Wien – "In The Pixels We Trust." Die Huldigung an den Digitalgott ist ein Bekenntnis unserer Tage, das bei weitem nicht nur das Second Life betrifft. Verlangt wird die totale Hingabe an die Pixelmaschinen. 24/7. Und der Fake ist dort ein Stil, kein Tabu.

Das besagte Lebensmotto findet sich dennoch in der Online-3-D-Infrastruktur von Second Life, als Werbetafel in der von Künstlerin Cao Fei gestalteten virtuellen Stadt RMB City (2007–2011). Es ist eine fantastische Metropole, mehr Jahrmarkt als das absurd-surreale Konzentrat einer modernen chinesischen Stadt, durch die sich Feis Avatar China Tracy bewegt.

In animierten Sequenzen taucht man durch den Ozean, an Statuen von Mao Zedong vorbei, wird vorbeigespült am "Bird's Nest", dem Pekinger Olympiastadion von Herzog & de Meuron, schwingt sich mit einem Riesenrad in die Lüfte, steht hoch oben an der wegen seiner ökologischen, geologischen und soziokulturellen Auswirkungen umstrittenen Drei-Schluchten-Talsperre und blickt hinab. Irgendwo erbebt auch die monströse Sendezentrale des staatlichen chinesischen Fernsehens von Rem Koolhaas.

rmbcity

Cao Fei lässt in RMB City Wahrzeichen des Turbokapitalismus wackeln: ein Kommentar zur rasanten Achterbahnfahrt Chinas, zu seinem schnellen sozialen wie ökonomischen Wandel. Statt Türme einstürzen zu lassen, kann man sie auch der Lächerlichkeit preisgeben: Man lässt das Acht-Bit-Computerspielfresserchen Pacman mit den 1980er-Jahre-Freunden aus "Arkanoid" und "Space Invader" an ihnen rauf- und runterturnen.

So hat es Cao Fei, der die Secession eine erste Soloschau in Österreich widmet, in Same Old Brand New, einer videodokumentierten Lichtshow, 2015 vollführt: am International Commerce Centre, dem mit 484 Metern höchsten Wolkenkratzer Hongkongs. Wenn man sich diesen Spaß dann noch vom Handelszentrum selbst und der Art Basel – Königin des Kunstinvestments – finanzieren lässt, darf man jubeln: Tetris!

ICC Light and Music Show

Im Kern ist das ebenso ernüchternd wie die Kopie der Secession, die sich in Guangzhou, Cao Feis Heimatstadt, findet. Allerdings ziert der goldene Krauthappel dort eine Immobilienzentrale namens Splendid River. Momentan prangt der Schriftzug an der Wiener Fassade, stülpt der Secession eine kommerzielle Identität über.

Ultimative Antworten

Eine Episode in Cao Feis RMB City geht so: "Treffen sich Mao, Marx und ein Lehman-Brother im Limbo ... " Kein Witz. Die Protagonisten von Kommunismus, Sozialismus und Kapitalismus diskutieren in der Vorhölle über Revolution, den Gestank des Geldes und kapitale Orgasmen und erhoffen sich von Laotse – mit dem sie Tai-Chi machen – die ultimative Antwort. Aber auch der Philosoph weiß nicht so recht. Er schlägt vor zu meditieren.

Die Probleme der realen Welt schummeln sich in die virtuelle mit hinein, jedoch finden sich dort keine Antworten auf wichtige Menschheitsfragen, so Cao Fei. 1978 geboren, wuchs sie im postkommunistischen China auf; der Westblick – erst über das Fernsehen, später über das Internet – war ihr quasi in die Wiege gelegt.

Cao Fei interessiert, wie sich der Wandel – World Wide Web, Globalisierung, Urbanisierung – auf das Leben der Menschen, ihr Miteinander auswirkt? Ihre Installation Strangers (2015) bringt Einsamkeit und Entfremdung sehr gut auf den Punkt: Auf einer Onlinedatingplattform buhlt man mit Webcambildern: Hält der eine die Kamera in den Schritt, zeigt Fei ihm das Bild eines Buddhas. Zap. Und das Geplänkel ist beendet.

Jane Lombard Gallery

Dass Cao Fei Gegenwart und Zukunft nicht unbedingt optimistisch begegnet, unterstrich nicht nur ihr postapokalyptischer Stop-Motion-Film La Town bei der heurigen Biennale Venedig, sondern auch Haze and Fog, ihr erster Langspielfilm, der in der zu dicht bespielten Secession im letzten Eck versteckt ist.

Nach und nach entpuppen sich die höchst seltsame Dinge vollführenden Bewohner eines Apartmenthauses – Stichwort: Yoga auf der Tischtennisplatte – als seelenlose Zombies. Freaky, aber gut. (Anne Katrin Feßler, 19.8.2015)

Museum of Modern Art