Michael Wimmer (65) ist Dozent an der Angewandten und berät nationale wie internationale Institutionen in kultur- und bildungspolitischen Fragen.

Foto: privat

STANDARD: In welche Phasen unterteilen Sie 70 Jahre Kulturpolitik?

Michael Wimmer: Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es stark um die Instrumentalisierung des Kulturbetriebs zur nationalen Identitätsstiftung. Hier konnte man auch den Nationalsozialismus ein Stück weit vergessen machen. Das ist, muss man sagen, gelungen – mit allen bekannten negativen Seiten. Die Siebzigerjahre waren dann geprägt durch eine umfassende Modernisierung der Gesellschaft insgesamt, daher auch des Kulturbereiches. Es wurde versucht, neue Konsumenten, die bisher dem Kulturbereich ferngeblieben waren, miteinzubeziehen. Das war ein wichtiger Demokratisierungsschub. Mit den Achtzigern hielt eine stärkere Marktorientierung Einzug. Zunächst waren das Einzelaktionen, im weiteren Verlauf hat das aber zu einer umfassenden Transformation des Kulturbereichs geführt.

STANDARD: Steckte da politische Programmatik dahinter, oder sah man sich gezwungen aufgrund knapper Budgets?

Wimmer: Beides. Vranitzky hat damals gesagt, er wolle Österreich wie ein gut geführtes Unternehmen leiten. Helmut Zilk war es aber auch ein ideologisches Anliegen neue Beziehungen zwischen dem Kultur- und Wirtschaftsbereich herzustellen. Um signifikant hohe Mittel ging es damals noch nicht, aber es kam in der Folge zu den Ausgliederungen der großen Häuser. Die Wirtschaft wurde als neuer kulturpolitischer Player in den Mittelpunkt gerückt.

STANDARD: Welche Rolle spielte der EU-Beitritt?

Wimmer: Er hat sich massiv ausgewirkt – obwohl das kulturpolitisch kaum diskutiert wurde. Der gesamte Trend hin zur Auslagerung von Kultureinrichtungen hat damit richtig Fahrt aufgenommen.

STANDARD: Ist Österreich kulturpolitisch eher zentralistisch oder föderal aufgestellt?

Wimmer: Es ist ein sehr gemischtes System. Die Führung der großen Einrichtungen ist unhinterfragt Bundessache und seit den Siebzigerjahren fördert der Bund Gegenwartskunst, weil es die Länder und Gemeinden nur ungenügend getan hätten. Dort ging es eher um Volkstanz und Goldhauben. In der Zwischenzeit verändert sich aber die Gewichtung, einige Länder haben kulturpolitisch aufgerüstet. Wenn es in den Siebzigern einen Trend hin zur Zentralisierung gab, orte ich jetzt eine entgegengesetzte Entwicklung.

STANDARD: Befördert das Josef Ostermayer?

Wimmer: Ja, er überlässt sehr vieles den Ländern. Ich denke, er möchte durch eine seriöse Verwaltung der großen Kultureinrichtungen und der Etablierung des Hauses der Geschichte an einem denkbar ungünstigen Ort in Erinnerung bleiben. Ostermayer hatte auch den bestmöglichen Einstieg gehabt, mit der Entscheidung Burgtheaterdirektor Hartmann zu suspendieren. Meine These war immer, dass die führenden Kräfte in den Kultureinrichtungen wesentlich mehr kulturpolitische Wirksamkeit entfaltet haben als die Kulturpolitiker selbst. Bei Ostermayer gibt es aber diesen Machtanspruch, dass letztlich noch immer die Politik bestimmt. Und so wurde das auch verstanden. Ein Machtzeichen.

STANDARD: Welche Probleme kommen auf die Kulturpolitik in den nächsten Jahren zu?

Wimmer: Die Legitimation der großen Häuser leitet sich stark aus dieser nationalen Identitätsbildung ab. Das wird so nicht mehr gelten. Es wird eine andere Rechtfertigung geben müssen, warum der Staat hier so stark fördern soll. Die haben im Moment noch wenig Probleme, weil die Auslastungszahlen gut sind, aber auf die Dauer wird das nicht reichen. Das ist schlicht dem Umstand entsprochen, dass im Moment 56 Prozent der Volksschulkinder Migrationshintergrund haben. Wenn ich will, dass die das Kulturangebot auch in Zukunft nutzen, dann muss ich es dementsprechend anpassen. Oder ich ziehe mich auf ein touristisches Angebot zurück, das ist die Alternative. (Stefan Weiss, 21.8.2015)