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"Neu ist, dass mittlerweile auch der jüngere Feminismus seinen Schleier über diesen denkbar radikalen Verfügungsanspruch des Mannes über die Frau legt": Prostituiertendemonstration in Paris (2013).

Foto: Reuters/Platiau

Ein neues Wort ist im Umlauf: die "Sexarbeit". Wikipedia vermerkt dazu: "Der Begriff soll die mit der Prostitution und ähnlichen Dienstleistungen im Bereich der Sexualität verbundenen negativen Konnotationen abbauen und diese Tätigkeiten in eine Reihe mit anderen Dienstleistungsbereichen stellen."

Käuflicher Sex eine Dienstleistung wie jede andere? In der Tat finden sich immer mehr Medienberichte, die sich im Ton sexueller Auf- und Abgeklärtheit mit dem ältesten Gewerbe der Welt beschäftigen. Von freiem Unternehmertum und Selbstständigkeit ist die Rede. In der Zeit (21. November 2013) erzählt eine Prostituierte von ihrem Alltag und bekennt am Ende: "Mich hätte es nicht gestört, wenn meine Tochter Hure geworden wäre. Ich finde: Es ist ein interessanter Beruf."

Es ist vor allem ein weiblicher Beruf. Der Sexarbeiter ist ebenso unüblich wie der Prostituierte. Die englische Feministin Laurie Penny antwortete in der taz auf die Frage, ob Sexarbeit mit ihrer ständigen Überschreitung von Intimitätsgrenzen je normale Arbeit sein könne: "Sehen Sie sich die typischen Frauenjobs an. Wir sollen uns mit unserer ganzen Persönlichkeit unserem Arbeitgeber zur Verfügung stellen. Wir alle verkaufen immer mal wieder Gefühle." Wir alle? Ob Frau Penny wirklich keinen Unterschied dabei empfände, einem Chef im metaphorischen oder im realen Sinn mit Haut und Haar zur Verfügung stehen zu müssen?

Sphäre der Sozialarbeit

Das Wort "Prostituierte" war der Versuch, der Nutte, Hure oder Dirne bildungssprachlich aus dem Weg zu gehen, ohne sie indes aus dem Auge zu verlieren. Die "Sexarbeiterin" ist ein Wort aus der Sphäre der Sozialarbeit, geschaffen für das Ringen um bessere soziale Absicherung für Prostituierte. Also eine lobenswerte Wortschöpfung, oder etwa nicht?

Das Problem, wie man eine Frau nennt, die ihren Körper feilbietet, spielt auch in zwei erfolgreichen Kinoproduktionen eine zentrale Rolle, in Pretty Woman von 1990 und in The Sessions – Wenn Worte berühren von 2012. Die Filme liefern die mediale Begleitung zu einem tiefgreifenden Wandel im Umgang mit der Prostitution. In Pretty Woman nimmt ein Finanzinvestor (Richard Gere) für ausgehandelte 3000 Dollar eine Woche lang die Dienste einer Prostituierten (Julia Roberts) in Anspruch. Sie gesteht, sie hätte es auch für weniger gemacht, er bekennt, er hätte auch mehr gezahlt. Die gegenseitige Wertschätzung ist also geklärt, der Liebe steht nichts mehr im Weg.

Die Romanze wäre aber nicht denkbar gewesen ohne einen expliziten Etikettenschwindel. Während eines Streits pocht der Investor auf seinen Anstand: "Ich habe dich nie wie eine Prostituierte behandelt!" Und sie erwidert: "Gerade hast du es getan." Wäre der Film zwanzig Jahre später gedreht worden, hätte sie antworten können: "Ich bin keine Prostituierte, ich bin eine Sexarbeiterin. Ich verkaufe Dienstleistungen, genau wie du." Doch 1990 war zwar die befreite Sexualität schon auf dem freien Markt angekommen, aber noch nicht der Feminismus.

Um eine ähnlich heikle Etikettierung kreist auch der von der Kritik gefeierte Film The Sessions – Wenn Worte berühren. Mark O'Brian ist seit einer Kinderlähmung vom Hals abwärts bewegungsunfähig. Um endlich einmal Sexualität zu erleben, nimmt er die Dienste der Sextherapeutin Cheryl (Helen Hunt) in Anspruch, wobei das Spektrum ihrer Dienstleistungen auch den mit ihr praktizierten Geschlechtsakt beinhaltet.

Gleich bei ihrer ersten Begegnung kommt es zu einem peinlichen Moment, weil Mark ihr wie einer gewöhnlichen Professionellen das Geld für die sechs vereinbarten "Sessions" auf den Tisch gelegt hat. Cheryl nutzt den Fauxpas, um ihm den Unterschied zwischen ihr und einer Prostituierten zu erklären: "Eine Prostituierte will, dass Sie wiederkommen, ich nicht." Nach dieser Definition wäre jede Prostituierte, die stets nach sechs Akten den Freier wechselt, eine Sextherapeutin. Auch in diesem Film gerät der finanzielle Deal durch das Aufkeimen der Gefühle ins Wanken. Zwar nimmt Cheryl am Ende das Geld, aber die Therapie wird frühzeitig (und nach beiderseitigen Orgasmen) abgebrochen.

Was befähigt Cheryl zu der Aufgabe, mit einem fremden, schwerstbehinderten Menschen zu schlafen? Zunächst ihre lockere Einstellung zum Sex, mit der sie schon in der Jugend kirchlichen Anstoß erregt hat. Und schließlich noch eine Eigenschaft, die ihr Ehemann – völlig unironisch – beim Namen nennt, als sie vor dem Einschlafen über ihre Arbeit mit dem neuen Klienten reden: "Du bist eine Heilige!" Diese Huldigung steht in einer langen Tradition. Die ewig gespaltene Männerfantasie zwischen der Heiligen und der Hure hat endlich zu einer Symbiose gefunden: in Gestalt der Sextherapeutin mit dem umfassenden Angebot. Auch hier hat sich der entfesselte Markt durchgesetzt, die Maxime: Wo ein Bedürfnis ist, da muss es auch eine Erfüllung geben, für Geld, versteht sich.

Das Wort "Sexarbeiterin" fällt in dem Film, einer US-Produktion, nicht, obwohl das Wort ("Sexwork") aus dem Angelsächsischen stammt. Der Streifen beruht auf einer wahren Begebenheit, Vorlage für das Drehbuch war ein Artikel des realen Mark O'Brian, dessen Titel eine neue Vokabel ins Spiel bringt: "On Seeing a Sex Surrogate." In einem Interview über ihre Rolle als Surrogat sagt Helen Hunt, Cheryl habe Mark ein wunderbares Geschenk gemacht, "a selfless gift".

Wieso selbstlos? Wird sie etwa nicht für ihre Dienste bezahlt? Surrogat, Sextherapie, Sexarbeit – all der Wortzauber hat vor allem den Zweck, die nackte Tatsache zu bemänteln, dass hier eine Frau buchstäblich ihre Haut zu Markte trägt und dass dabei essenzielle Grenzen ihrer körperlichen Intimität und Integrität verletzt werden. Das Klischee der Frau, die sich selbstlos oder besser noch mit Lustgewinn einem jeden hingibt, ist eine uralte Männerfantasie, tausendfach mythisch überhöht, doch im Grunde um nichts besser als der ewige Selbstbetrug des Freiers, der sich den Spaß nicht durch den Gedanken an die Wahrheit verderben lassen will.

Neu ist indes, dass mittlerweile auch der jüngere Feminismus einen Schleier über diesen denkbar radikalen Verfügungsanspruch des Mannes über die Frau legt. Die "Sexarbeit" als eine Dienstleistung wie jede andere zu bezeichnen ist von allen Versuchen, sich die Anrüchigkeit des Lebens durch einen Vokabel-Voodoo vom Leib zu halten, der verlogenste – und überdies ein Verrat am Feminismus. Reicht ansonsten schon der bloße Verdacht des Sexismus aus, um einen Mann an den Pranger zu stellen, wird plötzlich beim offensichtlichsten Sexismus, beim Anspruch, den Körper der Frau als Ware zu benutzen, ein Freibrief ausgestellt. Übrigens auch für den Mann, ist er doch nur ein Konsument einer Dienstleistung wie jeder anderen. Wer das Wort "Sexarbeiterin" verwendet, der tut so, als hätte er kein Gespür mehr für die elementare Verletzung der Würde, die mit der gewerblichen Preisgabe des Körpers verbunden ist. Man blendet bewusst all das leidlich bekannte soziale und psychische Elend aus, das so oft hinter diesem Gewerbe steckt: Gewalt, Menschenhandel, Zuhälterei, Missbrauch und Verwahrlosung in der Kindheit.

Unwürdige Debatte

Alice Schwarzer wurde vorgeworfen, in ihrem Feldzug gegen die Prostitution übertrieben zu haben, nämlich bei den Zahlen der Prostituierten, die angeblich in der Kindheit sexuell missbraucht wurden. Was für eine unwürdige Debatte! Brauchen wir wirklich Statistiken, um zu wissen, dass irgendetwas schiefgelaufen sein muss im Leben einer Frau, wenn sie in der Lage ist, ihren Körper, also sich selbst, zu verkaufen? Und ist es frauenfeindlich, ein solches Menschenbild zu haben? Ein besserer gesetzlicher Schutz von Prostituierten ist ein humanes Anliegen. Aber kann so etwas überhaupt gelingen, wenn man dafür die Realität ausblendet?

Wie so oft ist es die Sprache selbst, die die Perfidie entlarvt: Eine "Sexarbeiterin" ist eine Arbeiterin, keine Angestellte, keine Unternehmerin. Doch das Milieu, in dem dieses Wort nun gedeiht, kennt Arbeiter nur aus der Ferne. Helen Hunt hat sich für die Vorbereitung auf ihre Rolle mit dem realen "Sex Surrogate" für Mark O'Brian getroffen, und sie war ganz angetan von dieser Frau, vor allem von "ihrem Akzent und ihrer Extrovertiertheit". Vor der Erfindung der Sexarbeit hätte das wohl bedeutet: von ihrer proletarischen Sprechweise und ihrer ordinären Direktheit. Frau Hunt und Frau Penny, der Schauspielerin und der Autorin, wird folgender Dialog erspart bleiben: "Was macht Ihre Tochter beruflich?" – "Ach, die macht zurzeit in Sexarbeit, ein interessanter Beruf!" (Dietmar Krug, Album, 26.8.2015)