Sneakers, Sprühdose und Hashtags: Im Wiener Wahlkampf setzt die 37-jährige Beate Meinl-Reisinger (Neos) auf Aktivismus und straßenaffine Protestästhetik.

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Beate Meinl-Reisinger will auch "radikal denken".

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Wien – Im "Warroom" der Neos grassiert die Sommergrippe. Das liege am Stress, sagt die Empfangsdame in der "Neosphäre", wie die Pinken ihre Wahlkampfzentrale in der Neustiftgasse nennen. Auch Beate Meinl-Reisinger hat es hörbar erwischt. Zum Gespräch mit dem STANDARD nimmt die 37-jährige Wienerin im gläsernen Besprechungszimmer Platz. Transparent will man sich geben, Transparenz zählt auch zu Meinl-Reisingers Lieblingswörtern. Mehrmals wird es in den nächsten Minuten fallen.

Seit drei Jahren ist die Nummer Zwei der Neos Kultursprecherin ihrer Partei. Im Nationalrat war sie Vorsitzende des Kulturausschusses. Nun soll sie ihre Partei als Spitzenkandidatin in den Wiener Stadtrat führen. Ihr Nationalratsmandat will sie noch vor der Wien-Wahl zurücklegen, Rückkehr ausgeschlossen. "Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit", sagt sie. Vom Erfolg bei der Wahl im Oktober ist Meinl-Reisinger überzeugt. Für die Übernahme der Neos-Kulturagenden steht indes Niko Alm bereit, der als Religionssprecher über seinen Glauben an das fliegende Spaghettimonster gestolpert war.

Im Wahlkampf will Meinl-Reisinger aber dennoch mit kulturpolitischen Themen auf Stimmenfang gehen. Konkret stört sie etwa "der Wildwuchs bei den Förderungen". In Wien würden sich die Parteien über dezentrale Kulturförderung in den Bezirken "ein zusätzliches Körberlgeld" holen. Detailliert listet sie auf ihrer Homepage lokale Kulturvereine auf, die meist klar SPÖ, ÖVP oder den Grünen zuzuordnen seien.

In Floridsdorf habe sie auch einen FPÖ-Verein gefunden, dessen einzige Aufgabe es sei, einmal im Jahr blaue Ostereier zu verteilen. "Also Wahlwerbung zu betreiben", sagt sie. Nun könne man natürlich niemandem verbieten Vereine zu gründen. Abhilfe verspricht sie sich aber von mehr Transparenz. Es sei bezeichnend, "dass man von diesen Vereinen oft nicht einmal eine Webseite findet."

Was denn "parteinahe" überhaupt heißt, habe man für sich klar definiert: "wenn ein Mandatar oder eine Mandatarin Obmann oder Obfrau eines Vereins ist oder zwei Funktionsträger im Vorstand sitzen", so Meinl-Reisinger.

Selbst tritt sie für eine "Ausschilderung" der Förderungen ein. Man solle klar definieren, welche Einrichtung für kulturelles Erbe steht, welche für Laienkultur und welche für Innovation und Zeitgenössisches. "Dann würde man auch den ständigen Verteilungskampf und Überbietungswettbewerb ausschalten". Als Beispiel verweist Meinl-Reisinger auf die Stadt Graz, wo man die gesamte Kulturförderung mit internationalen Experten einer Evaluierung unterzogen habe. "Dort ist zum Beispiel die Bühnenholding anders aufgestellt", die Kontrolle sei stärker zentralisiert. "Warum denkt man nicht radikal und bezieht sowohl die Wiener Bühnen als auch die Bundestheater in ein gemeinsames Konzept ein?"

Die Vereinigten Bühnen würde sie überhaupt lieber schrittweise in die Privatautonomie entlassen. "In anderen Städten tragen sich solche Bühnen wirtschaftlich von selbst", sagt Meinl-Reisinger.

"Privates Engagement wird im Kulturbereich nie die öffentliche Hand ersetzen können." Das wolle man auch gar nicht. Dennoch solle man in Zeiten, wo das "Geld an allen Ecken und Enden knapp" werde, keine ideologischen Scheuklappen haben, meint Meinl-Reisinger. Den von der Regierung geplanten Steuerleichterungen für Kulturspenden steht sie daher positiv gegenüber. Wäre auch ein Modell wie in den USA denkbar, wo private Ankäufe, die dauerhaft an Museen weiterverliehen werden, steuerlich absetzbar sind? "Ja, bei bestimmten Kriterien würde ich durchaus so weit gehen. Denn viele Künstler sagen mir, dass sie im Ausland mehr verkaufen als in Österreich."

Haus der Geschichte

Mehr Künstler im Land zu halten, sei Meinl-Reisinger generell ein Anliegen. "Wien braucht eine Atelieroffensive", sagt die Anwärterin für den Wiener Gemeinderat. Viele gingen auch im Kreis um ihre Förderungen, weil die zuständigen Stellen "Ämter-Pingpong" spielen würden, bei dem sich jeder auf den anderen ausrede. "Ich denke, es gibt mehr Zwänge für Künstler bei Förderungen aus dem öffentlichen Bereich, als bei privaten Geldgebern." Als Beispiel führt Meinl-Reisinger den Fall einer Filmschaffenden mit türkischem Hintergrund an: "Die hat mir erzählt, für sie sei es kaum möglich, öffentliche Förderung zu bekommen, weil sie eben lieber einen Film über Aliens als über die Türkei drehen möchte."

In der Debatte um das Haus der Geschichte will Meinl-Reisinger bevor sie von der Bundesebene abtritt, noch etwas loswerden: "Die ÖVP-Idee von einem Haus der Zukunft halte ich für einen Marketinggag. Das ist Schwachsinn." Österreich brauche wirklich ein Haus der Geschichte – den Standort Hofburg hält sie jedoch für einen "schweren Fehler". Das Heeresgeschichtliche Museum, bei dem man sich sowieso "etwas überlegen" müsse, böte sich an.

Und sie? Würde sie sich für die Wiener Kulturstadträtin anbieten? "Ja", sagt sie, "aber lieber würde ich Kultur als Bürgermeisterin zur Chefsache machen." (Stefan Weiss, 25.8.2015)