Sie führt viel zu wenig, obwohl Deutschland die stärkste Volkswirtschaft in Europa ist. Nein, falsch, sie dominiert Europa und drängt dem Kontinent deutsche Sparsamkeit auf. Diese Vorwürfe hat sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel monatelang während der Griechenland-Krise anhören müssen.

Kein Wunder, dass Merkel froh war, in den Sommerurlaub entfliehen und dieses Thema nach der Zustimmung des Bundestags zum dritten Hilfspaket für Athen hinter sich lassen zu können. Doch jetzt ist sie wieder an ihrem Schreibtisch, und davor sitzt ein neues großes Problem: die Flüchtlingskrise, von der Deutschland – so wie Österreich auch – viel stärker betroffen ist als andere EU-Staaten.

Merkel hat diese zunächst unterschätzt, ihr Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sollte einfach mal machen. Doch dann gab es im sächsischen Heidenau schwere rassistische Ausschreitungen gegen Flüchtlinge, wurde Merkel ebendort angepöbelt, fand man 71 Leichen in einem Lkw auf der Ostautobahn. Und es drängen täglich mehr Flüchtlinge nach Deutschland, am Montag stürmten sie auch deutsche Züge in Ungarn.

Da wurde das Wegschauen und Abwarten immer schwieriger, und so widmete Merkel den größten Teil ihrer traditionellen Sommerpressekonferenz dann doch endlich der Flüchtlingsproblematik. Es war höchste Zeit, denn Deutschland steht vor gewaltigen Aufgaben.

800.000 Flüchtlinge könnten am Ende des Jahres gekommen sein, sagt der Innenminister. Manche munkeln schon von einer Million – und natürlich von Überforderung. Ein Blick in die Statistik zeigt jedoch, dass Deutschland eine solche Herausforderung schon einmal gepackt hat. 1997 lebten 1.050.000 Menschen als Flüchtlinge in Deutschland, danach flaute die Zahl wieder ab.

Zwar gibt es aus der deutschen Zivilgesellschaft viel Positives zu berichten: Unzählige Menschen helfen tatkräftig und auf privater Basis mit, um den neu Ankommenden unter die Arme zu greifen. Doch im Kompetenzdschungel zwischen Bund, Ländern und Kommunen hakt es, die Flüchtlinge sind nicht nur innerhalb der EU, sondern auch innerhalb Deutschlands ungleich verteilt.

Die wenigsten kommen übrigens im ostdeutschen Sachsen auf einen Einwohner – dort also, wo Volkes Stimme gegen Asylwerber sehr hässlich und laut ist. Es ist gut, dass Merkel klare Worte gegen die Hetzer gefunden hat.

Doch damit allein ist es nicht getan. Flüchtlingseinrichtungen müssen nicht nur menschenwürdig sein, sondern auch von mehr Polizisten geschützt werden. Das alles kostet – genauso wie die zusätzlichen Lehrer, die nun benötigt werden.

Doch Deutschland geht es gut. Das Land ist wirtschaftlich stärker als viele andere in der EU, am Arbeitsmarkt fehlen sogar Fachkräfte. Dennoch kann die Bundesrepublik die Flüchtlingskrise nicht allein bewältigen. Merkel wird also nicht nur in Berlin, sondern auch in Brüssel auf Lösungen drängen müssen. Dies wird eine der zentralen Aufgaben in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode sein, die im Herbst 2017 endet.

Und es wäre wichtig, wenn die Einschätzungen ihres Engagements dabei nicht so unterschiedlich wie in der Griechenland-Krise wären. Sondern wenn man bald ganz klar da wie dort sagen könnte: Merkel hat dieses Thema wirklich und erfolgreich zu ihrer Chefsache gemacht. (Birgit Baumann, 31.8.2015)