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Nelson Mascarenhas vom Centrum für Naturkunde an der Universität Hamburg (CeNak) beschriftet einen rätselhaften Narwal-Schädel. Mit Hilfe eines DNA-Tests wollen Wissenschafter das Geschlecht des über 300 Jahre alten Wals bestimmen.

Foto: APA/dpa/Daniel Bockwoldt

Hamburg – Normalerweise haben männliche Narwale einen Stoßzahn. Das Hamburger Centrum für Naturkunde allerdings verfügt über einen Narwal-Schädel mit gar zwei langen Hauern – und dieser soll von einem Weibchen stammen. Nun soll eine Erbgut-Analyse Klarheit über dieses Kuriosum bringen.

Er ist eines der ältesten, bekanntesten und rätselhaftesten Präparate im Centrum für Naturkunde (CeNak) der Universität Hamburg: der Schädel eines Narwals, genannt Lisa. Intern sprechen die Mitarbeiter der Zoologischen Sammlung von "unserer Mona Lisa". Das Tier wurde 1684 von dem Hamburger Walfänger Dirk Petersen zwischen Spitzbergen und Grönland gefangen, erklärt der Leiter der Museumspädagogik, Daniel Bein. Der Fang ist historisch belegt durch einen Bericht des Schriftstellers Philipp von Zesen (1619-1689). Von Zesen schreibt, dass der "Walfisch" mit einem ungeborenen Jungtier im Leib gefangen wurde. Ein Kupferstich illustriert das.

Seitdem gilt: Der Wal war ein Weibchen. Das Problem: Der Schädel hat gleich zwei lange Stoßzähne, wie man sie nur von einigen männlichen Narwalen kennt. Eine DNA-Untersuchung soll jetzt für Klarheit sorgen.

Die Frage nach dem Geschlecht des Wals scheint banal. Doch sie verweist laut Bein auf Grundprobleme naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Der Stoßzahn des Narwals sei bisher wie das Geweih beim Hirsch gedeutet worden. Die Männchen behaken sich damit ein wenig, um die Weibchen zu beeindrucken. "Doch was macht eine Frau mit zwei Geweihen?", fragt der Museumspädagoge. "Lisa" könnte also ein Männchen gewesen sein. Von Zesen, ein angesehener Autor, habe sich vielleicht alles getreulich von Kapitän Petersen berichten lassen. Aber Wale wurden nach dem Erlegen an Bord aufgeschlitzt. Der Embryo könnte falsch zugeordnet worden sein.

Fragwürdige Zuordnung

Doch so einfach sei es nicht, meint Bein. Bisher galt: Mädels keine Stoßzähne, Burschen mit Stoßzahn. Doch wie viele Narwale kennen wir? Weltweit seien nur etwa ein Dutzend Schädel mit zwei Stoßzähnen bekannt, "Lisa" der einzige weibliche davon. Im Mittelalter galt der Narwal als "Einhorn", auch von Zesen bezeichnete ihn so. Wurden andere Exemplare, die nicht in das Schema passten, vielleicht gar nicht in Sammlungen aufgenommen?

Hinzu kommt: Die Angaben von Walfängern gelten als zuverlässig. Ihre Aufzeichnungen zur Packeisgrenze sind heute eine wichtige Grundlage der Klimaforschung. Die Schiffsakten des "Güldnen Löwen" – so hieß das Schiff von Kapitän Petersen – sind allerdings im Zweiten Weltkrieg im Staatsarchiv verbrannt.

Eingemauerter Schädel

Dem Schädel des Narwals wäre es ähnlich ergangen, hätte nicht ein Mitarbeiter des damaligen Naturkundemuseums auf eigene Faust gehandelt: Oberpräparator Otto Holle (1888-1967) mauerte das Stück im Keller des Gebäudes ein. Praktisch alle anderen Präparate – sofern nicht ausgelagert – gingen verloren, der Schädel blieb erhalten.

Das Centrum für Naturkunde will "Lisa" zu einem zentralen Exponat in einer Museumsneugründung machen. Der Schädel könnte nebenbei auch auf die in Vergessenheit geratene Walfängertradition der Hansestadt hinweisen. Ob der Schädel nach Abschluss der DNA-Untersuchung noch Lisa heißen kann? Bein sieht Chancen, dass die Theorie vom ausschließlich männlichen Stoßzahn widerlegt wird. (APA/Red, 5.9.2015)