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Das Phänomen ist nicht auf Gertraud Klemms zweiten Roman Aberland beschränkt, sondern ein weitverbreitetes: das Sich-ständig-Vergleichen mit anderen – Mütter eben auch mit Töchtern. Und genau dieser Perspektivenwechsel zwischen zwei Frauen aus zwei Generationen ist die treibende Kraft in diesem wütenden Gesellschaftsroman. Die Mutter Elisabeth, 58, hat sich ihr Leben auf ein Gattinnen- und Hausfrauendasein selbstbeschränkt, ihre Tochter Franziska, 35, ("schon als Kind schon mit der Furche zwischen den Augenbrauen") ist Biologin, aber noch immer zu Hause beim Kind. Einstiegspunkt in diese beiden unentschlossenen, mitunter auch fremdbestimmten Biografien, die sich gar nicht so sehr unterscheiden, wie man sich das erhoffen würde, bildet die Frage nach einem zweiten Kind, die sich für Franziska, schon mit einem einzigen zugleich über- und unterfordert, nicht so dringend stellt wie für Tom, ihren Mann.

Überhaupt wird an der Figur der Franziska klar, warum sich Klemm, die sich mit dem Eingangskapitel 2014 den Publikumspreis beim Bachmannpreis in Klagenfurt erlas, für den Buchtitel entschied. Franziska hat studiert, aber. Hat sich für Tom entschieden, aber. Will trotz Kind ihre Dissertation schreiben, wieder arbeiten, aber. In Aberland geht es – Jurorin Daniela Strigl hat in Klagenfurt das Wort radikal gebraucht – um hinkende Gesellschaftsstrukturen, um Gleichberechtigung, die an der Wirklichkeit scheitert. Klemm ist eine genaue Beobachterin der Alltagszenerien bürgerlicher Mittelschichten, die sie in einer Kleinstadt namens Kaiserbad ansiedelt ("Sogar die Vögel sind zu satt in dieser Gegend"). Klemm, im österreichischen Literaturkosmos irgendwo zwischen Doris Knecht und Marlene Streeruwitz angesiedelt, entlehnt dieses Kaiserbad tatsächlich aus dem jüngsten Streeruwitz-Roman Nachkommen.

Bitterböse Betrachtungen

Klemm ist eine feministische Autorin, die es aber wagt, auch Frauen vorzuführen. Das hat ihr prompt bei Teilen der Literaturkritik den Vorwurf einer antifeministischen Haltung eingebracht. Klemm beziehungsweise ihre Figuren würden im Hadern verharren. Aber genau davon handeln Klemms wortreiche, oft bitterböse Betrachtungen dieser auch zu Selbstbetrug neigenden Frauen und Mütter. Es ist nicht immer schön, sich beim Lesen in den Spiegel zu schauen, aber fruchtbar ist es allemal. Und nicht unbedingt für ein weiteres Kind.

Klemm weist am Ende einen Weg aus dem von ihr beschriebenen bequemen, aber beschränkten Aberland heraus. Franziska unternimmt einen Ausblick auf das, was kommt: Sie nähme, sie gäbe, und sie würde. Alles noch Konjunktiv. Kein Konjunktiv hingegen: Gertraud Klemm ist auf der Longlist des Deutschen Buchpreises gelandet. Kein Aber. (Mia Eidlhuber, Album, 4.9.2015)