Mörder und Dandy: Johannes Krisch als Jack Unterweger.

Foto: Thimfilm

Wien – "Vergiss, was du je über Jack Unterweger gehört hast", verkündet der Trailer. Vielleicht nur ein unbedachter Werbespruch, aber sicher eine Aufforderung, sich mit diesem Film ein neues Bild über den Mörder und mutmaßlichen Serienmörder zu machen. Aber warum eigentlich? Warum sollte man alles vergessen, was vor fünfundzwanzig Jahren die österreichische Justiz und Öffentlichkeit beschäftigte, als Johann "Jack" Unterweger aus der Haft entlassen wurde? Weil dieser Film endlich die Wahrheit erzählt oder dieser Geschichte etwas Unerhörtes hinzuzufügen hat?

Thimfilm Filmverleih

Nichts von alledem. Jack ist ein Film, der Jahrzehnte nach Unterwegers Tod erst gar nicht versucht, auf offene Fragen eine Antwort zu finden. In ihrer Mischung aus Fakt und Fiktion bleibt die Autorin Elisabeth Scharang gerade so nahe an der Wahrheit wie unbedingt notwendig und entfernt sich so weit wie noch zulässig. Als Regisseurin inszeniert sie somit einen Film der Aussparungen und Verzerrungen.

Es ist zugegeben ein schmaler Grat, auf dem sich ein Film über Jack Unterweger bewegt. Scharang ist sich dessen bewusst, indem sie mit jenem Mord eröffnet, für den Unterweger zu lebenslanger Haft verurteilt wurde – womit wohl von Beginn an jede Möglichkeit zur Empathie verhindert werden soll. Andererseits geht diese Distanzierung nicht so weit und dauert nicht so lange, um dieser Figur nicht mehr folgen zu wollen: Kaum ist die Raserei der Ouvertüre zu Ende, erklingt aus dem Off die beinahe sanftmütige Stimme des "Häfnpoeten", der eines seiner schlechten Gedichte rezitiert. Johannes Krisch erfüllt diese Vorgabe einer ambivalenten Darstellung auf seine Art: Jedes Zucken mit dem Mundwinkel, jede Geste und jede Bewegung ist von Bedeutung, weil sie bei dieser Figur von Bedeutung sein muss – auch wenn man diese nie erfährt.

Dass Scharang sich nicht für einen bestimmten Zugang zum "Fall Unterweger" entscheidet (oder entscheiden konnte), gereicht diesem Film zunächst sogar überraschend zum Vorteil. Jack ist kein Psychodrama, denn dafür interessiert er sich zu wenig für die Mörderseele. Er ist kein Justizthriller, denn er kümmert sich nicht um den juristischen Hintergrund. Und er ist keine Milieustudie, denn Unterwegers Umfeld spielt praktisch keine Rolle – die Begegnung mit seiner Mutter gegen Ende des Films steht einer solche Sichtweise eher entgegen.

Wofür sich Scharang allenfalls entschieden hat, ist ein Film über Abhängigkeiten. "Dein Kapital ist deine Vergangenheit", erklärt die Journalistin (Birgit Minichmayr), für die Jack eine Reportage über das Rotlichtmilieu schreiben soll, obwohl er selbst Kapital für die Meute ist – nicht zuletzt für jenen Teil der Wiener Kunstszene, der sich für seine vorzeitige Freilassung einsetzte. Doch er ist auch das einzige Kapital dieses Films, der ihn bereits in seinem Untertitel – Poet. Liebhaber. Mörder – zu einem Faszinosum erklärt.

Als der Dandy im weißen Anzug die Stadt verlassen muss, vertraut er seinem Verleger besorgt seinen Hund an. Das ist die authentischste Szene in diesem Film, in der man über Jack Unterweger vielleicht am meisten erfährt. (Michael Pekler, 7.9.2015)