STANDARD: Sie haben im Vorzimmer Ihres Büros eine Jukebox stehen. Hat sich schon einmal eine Hip-Hop-Platte hineinverirrt?

Brandstetter: Nein, die müsste ich mir erst besorgen. Wobei mir ja bis heute niemand erklären konnte, was Hip-Hop eigentlich genau bedeutet. Jedenfalls ist es eine Kunstform, die der Jugend die Möglichkeit gibt, sich auszudrücken. Ich bin ja alt genug und habe noch Hans Hölzel alias Falco gekannt, der hat ja damit angefangen. Von ihm habe ich auch Platten, aber hauptsächlich solche mit Popmusik der 50er- bis 70er-Jahre.

STANDARD: Nicht gerade das, was man als Rapperin hört, oder?

Hafedh: Na ja, dem Soul der 50er- und 60er-Jahre werden viele Beats entnommen als Grundlage für Hip-Hop-Songs. Und Falco war auf jeden Fall der erste österreichische Rapper, das würde ich unterschreiben.

derstandard.at/von usslar

STANDARD: Ihre eigene Musik ist oft gesellschaftskritisch. Welche Ungerechtigkeiten begegnen Ihnen im Alltag, die Sie darin verarbeiten?

Hafedh: In erster Linie: Ich bin eine Frau. Noch dazu eine, die Hip-Hop macht – also Sexismus hoch zwei. Damit setze ich mich intensiv auseinander. Andere Themen, die mich oder mein Umfeld betreffen, sind Vorurteile gegen Menschen mit Migrationshintergrund und Multikulturalität oder auch Rassismen. Alles Sachen, die wir nicht mehr haben sollten im 21. Jahrhundert.

STANDARD: Ist die soziale Herkunft noch immer der entscheidende Faktor, ob jemand kriminell oder erfolgreich wird?

Brandstetter: Viel hängt davon ab, ob junge Menschen die Chance haben, sich zu entfalten. Darum ist es ja so katastrophal, wenn durch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die Jugend weniger Chancen hat, als sie haben könnte. Wir sehen das immer wieder bei der Jugendkriminalität. Es gibt viele Phänomene, die sich durch die ökonomischen Rahmenbedingungen erklären.

Hafedh: Ich gebe Workshops an Schulen und in Jugendzentren – kreatives Schreiben und Rappen –, und was mir dabei auffällt: Erwachsene vergessen oft, Jugendliche ernst zu nehmen. In den inneren Wiener Bezirken höre ich immer nur, wie die Schüler gelobt werden. Außerhalb des Gürtels scheint es eine Grenze in den Köpfen der Lehrer zu geben. Die warnen mich dann oft vor ein paar vermeintlich Schlimmen, die man nicht ernst nehmen soll.

Brandstetter: Da steckt viel Wahres drin. Man soll "brav sein" nicht mit Angepasstheit verwechseln. Erziehung kann auch ein Zerstörungsprozess sein.

STANDARD: Sitzen zu viele Jugendliche im Gefängnis?

Hafedh: Oft ist es bei Jugendlichen nur das Spielen mit der Vorstellung von kriminellem Verhalten, das sie aus den Medien kennen. Wenn Jugendliche tatsächlich kriminell werden, muss man sich mit ihnen zusammensetzen und nicht sofort sagen: "Wir sperren dich jetzt weg von der Gesellschaft, wir wollen von dir nichts mehr wissen." Man muss mit diesen Leuten arbeiten und ihnen helfen.

Brandstetter: Wir haben schon einiges gemacht, um die Untersuchungshaft bei Jugendlichen durch Alternativen zu ersetzen. Jetzt gerade ist die Novelle des Jugendgerichtsgesetzes in Begutachtung. Jugendliche Ersttäter in U-Haft zu stecken kann nur das allerletzte Mittel sein. Es gibt aber auch Fälle, die leider schon früh in ein derart kriminelles Milieu abgerutscht sind, da wird's schwierig. Wir haben auch neue Kriminalitätsphänomene, die das betrifft – im Bereich Jihadismus und bei Personen, die verdächtigt werden, Terrorismus zu unterstützen.

Hafedh: Und ab wann ist der Jugendliche ein verlorener? Sie sagen ja im Prinzip, es gibt welche, bei denen es keinen Sinn mehr macht.

Brandstetter: Es gibt schwere Fälle, in denen Jugendliche in kriminelle Organisationen integriert sind. Natürlich versucht man, denen zu helfen. Aber da ist es viel schwieriger als bei jemandem, der als Einzelperson einmal vorläufig gescheitert ist.

STANDARD: Gibt es für den geplanten Gefängnisneubau im Raum Wien schon einen zeitlichen Fahrplan und einen Standort?

Brandstetter: Derzeit ist nicht einmal der fixfertig geplante Zubau der Justizanstalt für Jugendliche in Gerasdorf, wo der Spatenstich im Juni erfolgen hätte sollen, realisierbar, weil ich mich erst mit dem Finanzministerium über die Budgetfrage einigen muss. Da ist klar, dass auch der Neubau noch länger dauern wird. Planungen und konstruktive Gespräche laufen aber.

"Erziehung kann auch ein Zerstörungsprozess sein." Für Brandstetter gehört das Anzweifeln von Autoritäten zum Erwachsenwerden.
Foto: Andy Urban

STANDARD: Als jemand, dessen Ausdrucksform die Sprache ist: Was fällt Ihnen an der Ausdrucksweise von Politikern besonders auf?

Hafedh: Politiker können auf jeden Fall reden. Man merkt, dass sie in einen Rhetorikkurs gegangen sind – meistens. (lacht)

Brandstetter: Ich hatte keinen.

Hafedh: Ein Naturtalent.

STANDARD: Wünscht man sich von Politikern manchmal klarere Ansagen?

Hafedh: Natürlich. Sonst muss man zwischen den Zeilen lesen oder sich einen Satz raussuchen, wo man sich denkt, aha, das ist jetzt die eigentliche Aussage.

Brandstetter: Dass jemand reden kann, heißt nicht, dass er auch was zu sagen hat. Das gefällt mir am Poetry-Slam: eine Ausdrucksform, die nicht nur vom Wort lebt, sondern auch von der Darstellung und davon, eine Idee auf den Punkt zu bringen.

Hafedh: Machen Sie mal mit. Fünf Minuten Zeit für eigene Texte.

Brandstetter: Na ja, ich habe früher Theater gespielt, so ist es nicht.

STANDARD: Im Reimen versuchen sich ja einige Politiker. Gibt's auch eigene Ausflüge ins Literarische?

Brandstetter: In meiner Jugend habe ich die eine oder andere Kabarettnummer geschrieben, die wurden auch aufgeführt. Aber das wäre heute nicht mehr salonfähig. (lacht)

"Das wäre heute nicht mehr salonfähig." Brandstetter über seine Erfahrungen als Verfasser von Bühnentexten.
Foto: Andy Urban

STANDARD: In Traiskirchen wird gegen Menschenrechte verstoßen. Wünscht man sich von der Regierung auch klarere Worte zum Umgang mit Flüchtlingen?

Hafedh: Was das betrifft, sind mir die Worte egal, da möchte ich sehr bald Taten sehen. Es wird sehr viel herumgeredet, man zeigt sein Mitgefühl, aber passieren tut nicht wirklich etwas. Wir sind an einem Punkt, an dem man andenken sollte, die Grenzen zu öffnen und humanitäre Visa auszustellen.

STANDARD: Geht es um konkrete Maßnahmen, sind schnell Verschärfungen gegen Schlepper bei der Hand. Werden die Ursachen der Schlepperei vernachlässigt?

Brandstetter: Das Gesamtproblem geht weit über das hinaus, was Österreich allein bewirken kann. Bei den Schleppern tun wir wirklich einiges, und zwar erfolgreich, wir verschärfen die Vorgehensweise. Aber das Problem wird dadurch nicht gelöst. Und je länger es dauert, Lösungen zu finden, desto stärker wird der Populismus. Es kann nicht sein, dass Österreich der Teschek der EU ist. In einer funktionierenden Solidargemeinschaft soll niemand der Teschek sein. Es ist ein europäisches Problem und kann nur auf europäischer Ebene gelöst werden.

STANDARD: Würden Sie einer Regierung mit FPÖ-Beteiligung als Minister zur Verfügung stehen?

Brandstetter: Ich fühle mich in der jetzigen Konstellation sehr wohl, habe meinen Bereich, in dem ich etwas weiterbringen kann. Alle anderen Fragen stellen sich für mich nicht.

STANDARD: Kein klares Nein?

Brandstetter: Wie gesagt, ich gehe davon aus, dass sich die Frage für mich nie stellen wird.

"Demonstranten werden gekesselt, daneben machen Leute den Hitlergruß – wo kommen wir denn da hin?" Hafedh über das Vorgehen der Wiener Polizei bei einer Pegida-Demonstration.
Foto: Andy Urban

STANDARD: Frau Hafedh, Sie haben einmal gesagt, "die Repression in Wien ist ein Wahnsinn". Was heißt das?

Hafedh: Ich finde Gewalt in jeder Form indiskutabel. Aber was allein im letzten Jahr in Wien passiert ist mit der Polizei, ist wirklich ein Wahnsinn. 870.000 Euro kostet der Einsatz, um ein von 20 Punks besetztes Haus räumen zu lassen (die "Pizzeria Anarchia", Anm.). Dann die Geschichte mit Josef S. und der Demonstration gegen den Akademikerball. Ich bin nicht damit einverstanden, dass dieser Ball in der Hofburg stattfindet und muss ein Zeichen setzen. Ich gehe hin und denke, es könnte jederzeit eskalieren, und zwar nicht auf der Seite der Demonstranten.

Brandstetter: Tatsache ist, der Polizeieinsatz muss auf sauberer rechtlicher Grundlage erfolgen. Die kann immer kritisch hinterfragt werden, wie im Fall Josef S. – und das hatte ja auch Konsequenzen. Es ist gut, dass wir den Paragrafen zum Landfriedensbruch eingeschränkt haben. Tatsache ist aber auch, dass es gewaltbereite Aktivisten gibt.

Hafedh: Aber auch gewaltbereite Polizisten.

Brandstetter: Man muss schon sehen, dass die Gewalt nicht aus dem Blitzblauen herauskommt. Es gibt gewaltbereite Gruppen, die Demonstrationsteilnehmer in Geiselhaft nehmen. Sie instrumentalisieren friedliche Demonstrationen, weil sie dort die Sau rauslassen können. Es ist für die Polizei nicht immer leicht, zwischen den Gruppen zu unterscheiden.

Hafedh: Wenn bei einer Pegida-Demo die Gegendemonstranten gekesselt werden, und ein paar Meter weiter stehen Leute und machen den Hitlergruß – wo kommen wir denn da hin? Die Polizei ist ein Organ des Staates, das die Sicherheit der Bürger gewährleisten soll. Wenn man sich als Bürger vor diesen Leuten fürchten muss, dann ist das ein Problem.

Brandstetter: Sie können sicher sein, wenn sich heute jemand wiederbetätigt, sei es auch nur verbal, dann gibt es eine scharfe strafrechtliche Sanktion. Zum Einzelfall kann ich nichts sagen, weil ich den Ablauf nicht kenne. Wir sind zuständig für die Rechtsgrundlage, auf der die Polizei agiert. Und die baut darauf auf, dass eine Demonstration friedlich abzulaufen hat. Wer das stört und seine Gewaltbereitschaft ausleben will, der gehört verfolgt. Wir haben zu viel Gewalt auf der Straße – und zu viel Hass in den Medien. Deshalb wurde beim Landfriedensbruch zurückgenommen und bei der Verhetzung nachgeschärft.

STANDARD: Ist bei Hasspostings eine strafrechtliche Verschärfung überhaupt die richtige Antwort, wäre nicht eine gesellschaftliche Sensibilisierung wichtiger?

Brandstetter: Dass man auf sozioökonomischer Ebene und mit Soft Skills entgegenwirken muss, ist natürlich klar. Aber wenn man die Möglichkeit zur strafrechtlichen Verfolgung hat, dann ist das von Vorteil. Diese Tatbestände, vor allem der neu geschaffene des Cybermobbings, sind notwendig und wichtig. (Simon Moser, Video: Maria von Usslar, 8.9.2015)