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Der Flüchtling von heute ruft die Daheimgebliebenen über Skype an. Wenn er einen Freund auf dem Weg verliert, kontaktiert er ihn via WhatsApp. Moderne Kommunikationsmittel und soziale Netzwerke ebnen den Weg für jeden, der die Flucht nach Europa antritt.

In früheren Zeiten mussten Flüchtlinge nach dem Weg fragen, auf den Kompass schauen oder sich am Stand der Sonne orientieren. Der moderne Flüchtling fragt dagegen, wenn er in einem neuen Land ankommt, nur noch: "Wo gibt's hier SIM-Karten?" Selbst die Ärmsten der Armen haben auf ihrem beschwerlichen Weg nach Westeuropa alle ein Smartphone und einen Zusatz-Akku dabei. Allerdings benutzen viele von ihnen preiswerte Geräte, die von den Herstellern als abgespeckte Version speziell für den arabischen Markt entwickelt wurden. Für die gefährliche Überfahrt von der Türkei nach Griechenland wickeln die Flüchtlinge das Telefon oft in Plastikfolie ein – für den Fall, dass ihr Schlauchboot kentern sollte.

"Das reicht, um das Telefon dreimal voll aufzuladen"

Rebwar Maao, ein junger Kurde aus dem syrischen Grenzort Ras al Ain, sieht müde und ziemlich abgerissen aus, als er vor dem Ostbahnhof in Budapest eintrifft. Einen Teil der Strecke von der serbischen Grenze haben er und seine vier Weggefährten zu Fuß zurückgelegt. Geschlafen haben sie im Wald. In der rechten Hosentasche seiner engen Jeans steckt ein Handy. In der linken Tasche hat er ein Ladegerät. "Das reicht, um das Telefon dreimal voll aufzuladen", sagt Maao.

Das Handy ist für Maao das wichtigste Hilfsmittel auf seiner Reise, die – wenn alles nach Plan läuft – in der deutschen Stadt Hannover enden soll. Mit der kostenlosen Kartensoftware und der Ortung per GPS finden die Asylbewerber den Weg nach Deutschland. Über geschlossene Facebook- und WhatsApp-Gruppen stellen die Flüchtlinge den Kontakt zu lokalen Menschenschmugglern her, die sie für viel Geld mit Lastwagen, Booten oder zu Fuß über die nächste Grenze bringen.

"Gherbetna"

Außerdem verfolgen sie per Smartphone die Nachrichten. Wo ist ein Schlupfloch geschlossen worden? Wo ist das Risiko am größten, von der ungarischen Polizei geschnappt und registriert zu werden? Einige syrische Flüchtlinge haben auch die App "Gherbetna" (Unser Heimweh) heruntergeladen, die ihnen nicht nur praktische Informationen liefert, sondern auch die Möglichkeit bietet, andere Flüchtlinge zu orten, die sich in der näheren Umgebung befinden.

"Wir haben in jedem Land etwa 20 Euro für eine Prepaid-Karte ausgegeben", sagt Maao. Die Karte, mit der man im Internet surfen und telefonieren kann, ist ihm so wichtig, dass er erst einmal zu einem Handygeschäft läuft – noch bevor er sich einen Fahrschein für den Zug zur österreichischen Grenze kauft.

Wie wichtig Handys und Internet für die Flüchtlinge sind, haben auch ungarische Helfer erkannt. In Budapest hat eine Gruppe von Greenpeace-Aktivisten das "Refugees Internet" eingerichtet. "Information und die Kommunikation mit Freunden und Verwandten sind für die Menschen hier am allerwichtigsten", sagt Flora Hevesi, Sprecherin von Greenpeace Ungarn. In kürzester Zeit haben hier über 100 Flüchtlinge ihre Handys aufgeladen oder das Internet benutzt. Vorerst werden die Aktivisten in der ungarischen Hauptstadt bleiben, sagt Hevesi. Aber wenn sie woanders gebraucht werden, ziehen sie auch weiter – etwa zu dem Erstaufnahmelager Röszke an der ungarisch-serbischen Grenze.

Granaten von Rebellen und sunnitischen Terrormilizen

Auf Gleis 8, wo die Züge nach Westen abfahren, sitzt an diesem sonnigen Mittag eine Gruppe junger Männer. Die Syrer sind Angehörige der drusischen Minderheit. Sie gehören nicht zu den Regimegegnern. Trotzdem wollten sie weg – weil es wegen des Krieges keine Jobs mehr gibt und das Leben teuer geworden ist. Mit Luftangriffen mussten sie in ihren Dörfern und Stadtvierteln zwar nicht rechnen. Dafür schlugen gelegentlich Granaten von Rebellen und sunnitischen Terrormilizen ein.

"Wir haben jetzt alle leere Akkus", sagt einer von ihnen. "Mit meiner Familie in Syrien habe ich seit fünf Tagen nicht mehr Kontakt gehabt". Wenn er in Österreich angekommen ist, will er sich eine neue SIM-Karte besorgen. In Serbien, erzählt er, habe ihm ein Straßenhändler für viel Geld eine gefälschte Handykarte verkauft. (APA, 10.9. 2015)