Tim Krohn erzählt in "Nachts in Vals" von acht Wendepunkten.

Foto: Judith Schlosser

Wien – Die Schweiz hat ja etwas Hermetisches an sich; eingezwängt zwischen Alpen und Jura, wehrhafter als der Rest des angrenzenden Europa (zu dem sie irgendwie gehört, obwohl sie nicht recht will), wirkt sie abgeriegelt nach außen und innen. Ein Gefängnis nannte Friedrich Dürrenmatt seine Heimat einmal, ein luxuriöses, müsste man wohl ergänzen. Denn das Geld der Schweizer Bankiers spürt man überall; auch in der abgelegenen Valser Therme, in die Tim Krohn seine acht nächtlichen Erzählungen setzt.

Chic liegt das Gebäude, ein Quader aus dem Gneis des naheliegenden Steinbruchs, in einem Berghang. Es ist in seiner Eleganz zu teuer für das junge Pärchen einer der Erzählungen. Statt im noblen Hotel zu residieren, müssen Luca und Aiuletta eine kleine, abgewohnte Pension beziehen und sich beim Nachtbaden einschleichen.

Jeder Nacht ihr Adjektiv

Der in der Finanzwelt arbeitende Marc fühlt sich dagegen mit einem Hotelgutschein zum Geburtstag bloß abgestraft. Gegensätze, die an diesem Ort unwahrscheinlich wirken, die Krohn aber doch mit seinen Erzählungen zusammenbringen will, um das ganze Spektrum des menschlichen Lebens unter den Nachthimmel dieser abgelegenen Gegend zu spannen.

Als Strahlende Nacht beginnt Nachts in Vals mit einer Entscheidung: In der Höhe der Berge will eine junge Schauspielerin Klarheit über ihre ungewollte Schwangerschaft gewinnen. Mit ihrer Mutter reisend, sucht sie nach Zeichen: zunächst solchen, die einen Abort begründen. Dann aber nimmt sie die Struktur des Sternenhimmels zum Anlass, sich für das Leben des ungeborenen Kindes zu entscheiden. Eine seltsame Erzählung, deren Tonfall und Verlauf eher den Stifter'schen Bunten Steinen entspricht als der Gegenwart.

Große Vorbilder

Und wie beim großen Vorbild sind die Novellen lose aneinandergebunden. Die Nacht und ein beigestelltes Adjektiv kennzeichnen den Faden, an dem Krohn seine Erzählungen – beginnend mit dem ungeborenen Leben, endend mit dem versöhnlichen Tod eines Schriftstellers – auffädelt: Strahlend, heilig, lang, hell, schwarz, klar, schwer und still sind diese am Ende sogar letzten Nächte. Freilich, die Religiosität, die Stifters Erzählungen trägt, entfaltet in den Andeutungen Krohns selten den Zauber des Meisters. Krohn muss überdeutlich von der Ordnung und Unendlichkeit sprechen, wo Stifter sie nur zeigt. So viele Milchstraßensterne auch Geburten verkünden, die Entscheidung der Schauspielerin, ihr Kind ob der Himmelskörper zu behalten, scheint fast unfreiwillig komisch. Das den Menschen Übersteigende wird zwar mit aller (Bilder-)Macht beschworen, allein in die Texte dringt es selten. Diese finden den Weg aus den Granitmauern und dem Feuerbad hin zum Erhabenen nicht recht.

Vergleicht man Nachts in Vals nicht mit den Größen des kurzen Erzählens, dann findet sich in dem Buch die eine oder andere schöne Novelle. Beispielsweise ist die Erzählung eines Musikers, der ausgerechnet zwischen den Takten der Maschinen des Hotels seinen Ton findet, sehr gelungen. Nur fällt dies (selbst der Titel könnte eine Anspielung auf Perutz' Nachts unter der steinernen Brücke sein) schwer. Krohn versucht – und eben das gelingt ähnlichen, aber besseren Texten -, magischen Realismus zu schreiben, allein: Er scheitert daran.

In das angepriesene Hotel kann man wohl trotzdem fahren. (Florian Kutej, 11.9.2015)