Es kann natürlich sein, dass die Regierung in Berlin sich auf ihre christlichen respektive sozialdemokratischen Wurzeln besonnen hat, als sie vor mehr als einer Woche die Regelung für syrische Flüchtlinge geändert hat. Verzichtete man beim Nachbarn doch plötzlich auf die so genannte Dublin-Regelung und öffnete die Grenzen.

Doch es sind Puzzleteile, die eine Hidden Agenda denkbar machen – dass es nicht allein um Nächstenliebe und Solidarität mit den europäischen Partnern geht. Zunächst kam der Regierungsvorstoß offensichtlich für alle überraschend. Kurz darauf einigte sich die CDU/CSU-SPD-Koalition darauf, das Budget für Flüchtlingshilfe im kommenden Jahr gleich um fünf Milliarden Euro aufzustocken.

Geld, das nicht etwa dem klammen UN-Flüchtlingshochkommissariat zukommen soll, damit dieses die Flüchtlinge in Syriens Nachbarstaaten versorgen kann, sondern in Deutschland (auch) in Integrations- und Bildungsmaßnahmen gesteckt werden soll. Syriens Jugend zwischen 15 und 24 weist laut UN eine Alphabetisierungsrate von 96,4 Prozent auf, praktisch westliches Niveau – beste Voraussetzung für Spracherwerb und Lernerfolg.

Kurz nach der Grenzöffnung kündigte der Daimler-Chef an, in Flüchtlingslagern nach Mitarbeitern suchen zu wollen, die Chefs von Porsche und der Post hoffen auch auf gute Kräfte. Vier Tage nach diesen Aussagen plädierte Merkel auf raschen Arbeitsmarktzugang für Asylberechtigte. Und kurz darauf will man plötzlich langsam wieder zur "Normalität" bei Grenzkontrollen zurückkehren.

Das alles kann Zufall sein – aber ebenso wenig kann ausgeschlossen werden, dass die Deutschen die Chance nutzen, potenziell gut gebildete Arbeitskräfte ins Land zu lassen. Hat man diese identifiziert, sind möglicherweise die EU-weiten Verteilungsquoten schon beschlossen, und man kann die weniger Arbeitsmarkttauglichen elegant abschieben. (Michael Möseneder, 14.9.2015)